Dienstag, 3. Dezember 2013

Kommentar 5.4 - Das alte Rein-Raus-Spiel

Man könnte ja meinen, ich suchte mir absichtlich Stücke aus, die ich nicht mag, um sie dann auseinanderzunehmen. Das stimmt nicht. Deswegen heute mal die Besprechung von:

Michael Beil - Exit to Enter

(es gibt eine alternative Version vom Ensemble Mosaik, in der Nadar-Fassung sieht man allerdings besser, was so auf und neben der Bühne passiert)

Ob Michael Beil sich selbst dem Neuen Konzeptualismus zuordnen würde, weiß ich nicht. Spielt auch keine Rolle. Ich will ihn da auch nicht reindrücken, wenn er partout nicht rein will, auch wenn ich nicht weiß, was dagegen sprechen würde und warum er sich, wenn denn, dann so ziert, auf jeden Fall finde ich, dass seine Arbeiten, vor allem mit Ensemble und Video, einen ziemlich ausgeprägt konzeptuellen Denkansatz haben.

Der Titel beschreibt schon ziemlich erschöpfend das (optische) Konzept des Stückes: Rausgehen um reinzukommen. Die Instrumentalisten kommen also zuerst mal rein und setzen sich vor eine weiße Leinwand auf einen Drehstuhl. Dann machen sie irgendwas oder auch nicht. Das wird gefilmt. Dann gehen sie raus und kommen gleichzeitig wieder rein, jetzt allerdings als Videoprojektion nebenan, also im virtuellen Raum. Das geht runde zwei Minuten so in Stille, nur zweimal spielt das Ensemble die Grundfigur des gesamten Stückes (wie sich später herausstellt) in diese Stille hinein, eine merkwürdig in sich selbst verzwirbelte Linie. Allmählich werden die Aktionen der Instrumentalisten konkreter, sie bringen Requisiten mit, zuerst mal Stöcke. Mit diesen Stöcken tun sie so, als spielten sie ein Instrument. Man erkennt das Gemeinte sofort: Schlagzeug, Geige, Cello, Blasinstrument. Es ensteht der Verdacht, dass in einem nächsten Schritt diese "Fake"-Bewegungen irgendwie mit Musik unterfüttert werden. Und prompt bestätigt sich diese Vermutung, bei 2'20'' beginnt es auf den Schlag des Perkussionisten mächtig zu brummen und zu glissandieren. Naja, hätte man sich eigentlich denken können, dass die virtuellen Spieler auch ein virtuelles Instrumentarium verpaßt bekommen. Und virtuell in Musik übersetzt ist halt elektronisch. Auch die Linie, die vorher noch so brav vom Ensemble intoniert wurde, taucht wieder auf, lautstärketechnisch extrem angehoben, so dass man das Gefühl hat, man sitzt in einer Flöten- oder Klarinettenröhre drin und hört das Klappern der Klappen. Alle diese Mengen von Elementen werden in den folgenden Minuten weiter miteinander verflochten, bereichert um andere Elemente (zwischendurch wird auch mal mit Daheim telefoniert: "Haaalo?"). Die Entwicklungstendenz ist klar: Es wird konkreter, das heißt also unvirtueller: Die abstrakten mitgebrachten Gegenstände werden allmählich durch richtige Instrumente ersetzt, klanglich setzt sich das live-Spiel des Ensembles immer mehr gegen die elektronische Wand durch. Damit einher geht die "kontrapunktische" Verflechtung der Linie mit zeitlich gestauchten bzw. gestreckten Versionen ihrer selbst. Während das Ensemble natürlicherweise die "menschlichen" Metren übernimmt (32tel und aufwärts), wird die Hauptlinie elektronisch entweder sehr schnell oder sehr langsam abgespielt (hatten wir ja schon mal). Bei 7'50'' bleibt dann nur noch die Viertelversion der Linie mit elektronischem Sirren übrig (offensichtlich - die Partitur ist da nicht ganz klar - die Linie in 32facher Geschwindigkeit abgespielt). Passend dazu dreht sich eine Akteurin ganz, ganz schnell auf ihrem Stuhl (also im Video). Damit wissen wir spätestens bei 8'40'': die Linie ist abgefrühstückt. Wunderbar. Was jetzt? Schließlich zeigt das Youtube-Video noch 6 Minuten Spieldauer an. Wie wäre es nach dem doch recht motorischen ersten Teil mit einem etwas, nun ja, gefühlvolleren, ja, ich spreche es aus: melodiöserem Teil? Gleich, gleich, erstmal ein transitorischer Teil, der den Viertelpuls nochmal aufnimmt, das musikalische Material ist offensichtlich der Linie verwandt, wird jetzt aber rhythmisch charakteristischer aufbereitet: (in 16teln) taa-taa-taa-taa=ta-ta-ta-ta-ta=taaaa (ab 9'01''). Dann wird's aber schön. Richtig schön. Also nicht so Neue-Musik-schön, wo sich einem die Fußnägel hochrollen, aber man, weil man ja das Hören neu gelernt hat, die ganze Zeit über lächelt, bis man Lippenkrämpfe bekommt. Nein, es wird so richtig altmodisch, vielleicht leicht morbide, postindustrial schön. Dabei aber keineswegs kitschig. Zu einer mittig aufgewölbten Linienversion (man stelle sich den von der Schlange verspeisten Elefanten aus dem Kleinen Prinzen vor) vom Band sehen wir die leeren Video-Stühle wie zu Beginn. Ein Hauch von postapokalyptisch entvölkerter Erde weht mich an. Auch nicht kitschig, wie man anhand meiner Beschreibung vielleicht denken könnte.  Dann kommen gebückt zwei Instrumentalisten und spielen wieder fakemäßig auf ihren Fake-Instrumenten. Diesmal also andersrum: Erst der Klang, dann das Bild. Plötzlich, bei 11'36'', platzt das Glissando-Brummen vom Anfang wieder herein. Danach werden eine ganze Menge Hüte auf- und wieder abgesetzt, während die Linie wieder auftaucht, zuerst im tiefen Klavier. Jetzt aber ist sie ziemlich zerfasert, die Klangfarben wechseln bisweilen tonweise, häufig jedoch phrasenweise, was sie bisher nicht getan haben, was wiederum jetzt dem instrumentalen Klang einen elektronischen Anstrich gibt, so als spielte ein Sampler die Töne. Im Video sieht man dazu, wie die Klarinettistin sich selbst die Klarinette weiterreicht. Jedesmal, wenn sie dann wieder spielt, erklingt dazu ein anderes Blasinstrument. Zum Schluß kommt wieder der Mann mit dem Hut und mit einem Stuhlquietschen, in "echt" gespielt von der Klarinette, hört das Stück auf.
Ich muss sagen, ich mag "Exit to Enter". Eigentlich. Die Struktur ist ganz klar, die Verhältnisse zwischen Video, Szene und Musik sind ganz klar und die musikalische Faktur ist ebenfalls ganz klar. Durch das Zurückziehen auf eine relativ simple / banale Tonlinie schafft sich Michael Beil den Raum für den ganzen Rest drumrum, das Video, die Szene, das Audiozuspiel. Es ist aber auch nicht so, dass die Musik zur Begleitung verkommt, sie führt ein eigenständiges, im echten Sinne kontrapunktisches Leben. Die Zusammenführung all dieser verschiedenen Medien in einem Stück fordert aber auch Opfer. Die Dramaturgie ist bestenfalls konventionell: das Stück wird dichter, dann wirds ruhiger, dann wirds faserig mit Material vom ersten Teil. Und der interpretatorische Spielraum ist natürlich extrem gering. Die Instrumentalisten müssen im Millisekundenbereich genaue Aktionen ausführen. Da bleibt kein Platz für subjektive Färbungen, alles muss ineinandergreifen, sonst fällt die ganze Chose in sich zusammen. Es hat was von einer gut geölten Nähmaschine. Auf manche Sachen könnte ich auch verzichten, so auf die notorischen Drehungen auf dem Stuhl, die sich recht schnell abnutzen, oder auf die sich selbst weitergereichte Klarinette oder die Hutwechselspiele am Schluss (jaja, der Klang ist auch nur ein Hut, den die Instrumente sich aufziehen), die nette Effekte sind, aber irgendwie auch keine weitere Erkenntnis generieren. Überhaupt ist die Sache mit der Erkenntnis so eine Sache. Umberto Eco hat ja mal geschrieben, dass die Kunst kein Werkzeug der Erkenntnis sein wollen darf. Weil sie das einfach nicht sei. So gesehen hat "Exit to Enter" die Eco'sche Prämisse voll erfüllt. Denn eine Erkenntnis aus dem multimedialen, wenn auch gut gemachten, Feuerwerk zu destillieren, das ist mir trotz zehnmaligem Hören nicht gelungen. Die Frage ist ja immer, was ich von außen an Erkenntnisgewinn (man hört es schon, ich halte von Ecos Verdikt nichts) an ein Kunstwerk herantrage und was ich direkt aus dem Kunstwerk ableite oder darin verankern kann. Dass diese Frage in mir bei "Exit to Enter" besonders hartnäckig sich hielt, halte ich in Mahnkopf'scher Tradition für einen Fehler des Kunstwerks. Es bietet bei aller Oberflächenpolitur keine oder nur unzureichende oder nur vermeintliche Anknüpfungspunkte für irgendwelche Erkenntnisse. Für ein instrumentales Theater wird zu wenig "Geschichte" erzählt, für ein Ensemblestück wird zuviel Video gezeigt und für eine Videoinstallation wird zuviel Musik gemacht. Das mag sich nach der Suche für eine Schublade anhören, verweist aber eigentlich auf den hochgradig abstrakten, oder vielmehr technizistischen Charakter des Beil'schen Konzepts. Irgendetwas scheint mit den Komponisten zu geschehen, wenn sie sich in PureData-Patches, Video-Beamern und Inszenierungen verlieren. Ach, genau: Sie verlieren sich in PureData-Patches, Video-Beamern und Inszenierungen. Jeder auf die ihm eigene Weise.

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