Montag, 2. Dezember 2013

Kommentar 10 - It is on!

Grabenkämpfe um die Diesseitigkeit und den Neuen Konzeptualismus

Der Verteilungskampf hat begonnen. Das letzte Gefecht. Nö, nicht um's Öl, um die letzten Süßwasserreserven oder um die letzten Bauplätze für Penny-Märkte auf der Grünen Wiese. Es geht um nichts Geringeres als um die Zukunft der Neuen Musik. Oder um ihre Nicht-Zukunft. Je, nachdem, auf wessen Seite man ist.
Was ist da los im behaglich warmgeheizten Salon der Neuen-Musik-Szene? Alles beginnt da, wo es immer beginnt, wenn was beginnt in der Neuen Musik: in Darmstadt. Da hat 2012 Michael Rebhahn einen Vortrag gehalten mit dem tollen, von Beuys geklauten zitierten Titel: "Hiermit trete ich aus der Neuen Musik aus". Darin gibt er einen Statusbericht der Neuen Musik, den ich hier nicht nochmal wiederkäuen will, weil er altbekannt ist: fehlende Bindung zur Gesellschaft, fehlende Relevanz, fehlende Innovation. Und gibt abschließend seiner Hoffnung Ausdruck, die junge Komponistengeneration im Zeichen der "Diesseitigkeit" und des "Neuen Konzeptualismus" möge ihren Weg abseits der Neuen Musik beibehalten. "Aufgeregte" Diskussionen folgten, u.a. hier. Ich fand und finde den Text eigentlich nicht so wahnsinnig revolutionär, denn die Zustandsbeschreibung wird auch nicht dadurch spannender, dass man sie zum hundertstenmal runterleiert. Es stimmt alles, was darin steht, und auch das Mut-Zusprechen für diejenigen, die einen anderen Weg gehen (wollen) ist ja irgendwie rührend. Inwiefern die "Diesseitigen" und die "Neuen Konzeptualisten" tatsächlich jenseits der Neuen Musik stehen, das ist eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Schließlich bedienen sie sich zu großen Teilen deren Institutionen, werden auf den einschlägigen Festivals aufgeführt, melden sich in den einschlägigen Postillen zu Wort und veröffentlichen CDs bei den einschlägigen Labels. Äußerlichkeiten? Vielleicht. Vielleicht aber auch ein Zeichen dafür, wie problemlos sie an der Versorgungsleitung des Mutterschiffs gehalten werden können. Das wiederum würde auf eine nur unzureichende Umsetzung ihres Anspruches, jetzt endlich mal nicht mehr Neue Musik zu machen, hinweisen. Ich hatte ja schon angedeutet, dass ich das, was teilweise im Neuen Konzeptualismus unter Konzeptualismus verstanden wird, bloß für eine Art Materialfortschritt der zweiten Ebene halte. Wie auch immer, Rebhahns Text könnte man wohlwollend als journalistische Anschubfinanzierung verbuchen und das ist ja absolut okay.
Daraufhin, oder vielleicht nicht daraufhin, jedenfalls danach, wurden Rebhahn, Kreidler und Seidl nach Harvard eingeladen, um über ihre jeweiligen Konzepte zu sprechen (Austritt, Neuer Konzeptualismus, Diesseitigkeit). Diesmal holte Rebhahn in seinem Text "No Problem" etwas weiter aus und nannte nicht nur Namen von Komponisten (und das nicht gerade in besonders schmeichelhaften Zusammenhängen), sondern schlug vor, gleich zwei Ghettos aufzumachen, eines für die "Zeitgenössische Klassik" und eines für die "Neue Musik". Im ersteren sollen all diejenigen sich einfinden, die Neue Musik wie bisher machen (wollen), ihre Musik aber nicht mehr so nennen dürfen, im letzteren die, die keine Neue Musik mehr machen (wollen), ihre Musik aber jetzt so nennen müssen. Merkwürdigerweise fanden nicht alle diese Idee so super durchdacht wie ich. Naja, mal abgesehen davon, dass hier natürlich von Rebhahn ein McGuffin ausgelegt wurde, auf den sich prompt alle gestürzt haben, sind solche allgemein gehaltenen Texte eigentlich nie besonders erhellend. Ich bin ja der Auffassung, dass der ästhetische Diskurs sich nur und ausschließlich an konkreten Kunstwerken festmachen kann, sofern er davon handeln will. Wenn er für sich selbst so vor sich hinnuschelt, dann ist er möglicherweise selbst ein literarisches Produkt, aber kein Erkenntniswerkzeug für die Kunst der Gegenwart.
Auf jeden Fall ging die Diskussion jetzt erst so richtig los. Ausgerechnet den Vorschlag zur Trennung von "Zeitgenössischer Klassik" und "Neuer Musik", der ja nun wirklich gar nicht anders als ironisch verstanden werden kann, ausgerechnet diesen offensichtlich zur Provokation ausgelegten Bissen hat nun in der aktuellen NMfZ (Nr. 6, 2013) Stefan Drees ge- und sich daran verschluckt. In diesem Artikel ("Musikjournalismus als Propagandamaschine") wird nun das ganz große Geschütz aufgefahren. Die pejorativen Begriffe in dieser Schrift sind Legion: "Scheinargumente", "Deckmäntelchen", "Revierverhalten", "Propaganda", "Werbebranche", "Produktdesign", "Audiobranding", "Weltbildkontrolle", "Personenkult", "Glorifizierung", "Jargon", "eklatanter Mangel", "Worthülsen", "Schlagworte", "seltsam", "Werbebotschaft", "Pressesprecher-Mentalität", "neue Mythen", "Totalitarismus" (um nur die wichtigsten in chronologischer Reihenfolge zu nennen). Ich finde, man braucht den Text gar nicht mehr zu lesen, die Stilhöhe und Stoßrichtung sind durch die Aufzählung der Begriffe schon klar. Nur ein Nazi-Vergleich fehlt noch, ich bin aber zuversichtlich, dass der in nachfolgenden Texten noch kommt. Mit dem Vorwurf des "Totalitarismus" sind wir ja schon in Wurfnähe. Offensichtlich ist Stefan Drees irgendetwas ganz sauer aufgestoßen, es wird nur nicht ganz klar, was eigentlich. Im Ernst kann er ja nicht glauben, was er da faselt schreibt. Die Verteidigung der Demokratie als Aufgabe des Musikjournalismus, ich weiß gar nicht, ob ich es nochmal extra hinschreiben soll, aber gut: Das ist doch wohl ganz großer Quatsch. Selbstverständlich hat jeder das Recht, seine eigene Position als einzig gültige darzustellen (wobei Rebhahn das ja gar nicht tut, sehr wohl aber Drees), vor allem im ästhetischen Diskurs, wo es ja nicht um Menschenleben geht (noch nicht, möchte man nach der Lektüre von Drees' Text meinen), sondern um gedankliche Konstrukte, um den gedanklichen Vorgarten von Kunstwerken. Vor allem die beteiligten Komponisten, die sich auch schon in Stellungnahmen zu Drees' Text geäußert haben, besitzen jedes Recht, ihre eigene Haltung zu verabsolutieren. Dass ihre Haltungen möglicherweise hinterfragbar und kritisierbar sind, ist etwas völlig anderes, als von vorneherein von ihnen zu verlangen, sie oder die Mechanismen ihrer Verbreitung sozusagen erstmal "demokratisch" abzugleichen. Selbiges gilt auch für die Texte von Michael Rebhahn. Natürlich darf er behaupten, der "Neue Konzeptualismus" oder die "Diesseitigkeit" seien die in seinen Augen erfolgversprechendsten Wege aus der Sackgasse Neue Musik. Natürlich darf er auch bestimmte Komponisten als Beispiele für den zugeparkten Wendehammer heranziehen. Selbstverständlich darf Gisela Nauck die Komponisten promoten, die sie für richtig hält. Und selbstverständlich kann man das alles auch für falsch halten. Aber so ist das mit Debatten im luftleeren (=werklosen) Raum: Sie verselbständigen sich und jeder kann alles mögliche mit allem möglichem behaupten und widerlegen.
In einem hat Drees wohl recht, aber nicht so, wie er meint: Es geht um die Verteilung der Ressourcen in der Neuen Musik. Ja natürlich, um was denn sonst? Das kann man als "Revierverhalten" abtun, aber Drees' Text ist ja auch nichts anderes, als der Versuch, seine eigenen Marken zu setzen. Sieht man sich auf seiner Homepage die Veröffentlichungsliste an, dann wird schon klar, woher der Wind weht. Glanert, Chin, Kalitzke, Neuwirth; das sind alles wohlbekannte und respektierte Namen aus der alten Neuen Musik. Wie gesagt, es ist Drees' gutes Recht, an einer Neuen Musik festzuhalten, an der nicht mal mehr der Name neu ist. Dann soll er es aber auch hinschreiben und sich nicht als Vorkämpfer der Demokratie im Musikjournalismus (sehe nur ich diese vollkommen absurde Wortkombination?) aufspielen.
Nur der Anfangssatz von Drees' Artikel, der gefällt mir wirklich gut: "Liebe Leserinnen und Leser: Schätzen Sie Musik von Komponistinnen und Komponisten wie Jörg Birkenkötter, Sven-Ingo Koch, Isabel Mundry, Rebecca Saunders, Johannes Schöllhorn oder Daniel Smutny?" (NMfZ, S. 27, Nr. 6, 2013)
The fight is on. Ich bin gespannt auf die nächsten Züge.

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