Sonntag, 22. Dezember 2013

Kommentar 25 - Halbgare Eierpampe als Mittel der Erkenntnis [Teil 2] / Fetzen einer Poetik 5

Hier der langersehnte zweite Teil der Besprechung von Trond Reinholdtsens "Inferno - Percussion Sonata I, based on the novel by August Strindberg".

Die letzte Materialstudie (7), immerhin an die 20 Minuten lang, geht so: Der Gorilla liest ein Chemiebuch, entdeckt ein neues Material, dann kreischt sein Baby-Gorilla, daraufhin geht der Affenpapa in die Küche und macht dem Baby und sich selbst eine große Pfanne Rührei. Zwischendurch gibt er dem Baby etwas Schnaps zu trinken und nimmt auch selber ein paar Schluck aus der Pulle. Musikalisch begleitet wird die Szene vom Meistersinger-Vorspiel. Neues Material, Baby, Eier: Symbole des neuen Lebens. In Verbindung mit dem Meistersinger-Vorspiel: Neugeburt für die Oper. Das war ja einfach. Und eigentlich könnte man es damit bewenden lassen. Wenn, ja wenn da nur nicht die Sache mit dem halbgaren (oder halbrohen, je nachdem, ob man ein Opti- oder Pessimist ist) Eieromelett wäre.
Diese Eierpampe, die Gorilla-Reinholdtsen sich und seinem Baby auf den Teller schaufelt, entlarvt das ganze Stück als zutiefst pubertäre Show, nicht unähnlich der Selbstinszenierung einiger Rockbands. Natürlich ist das Geschirr in der Spüle nicht abgewaschen, natürlich nimmt der Gorilla nicht abgewaschenes Besteck und Teller, natürlich säuft er Schnaps aus der Flasche, natürlich tunkt er die Ärmel seines Kostüms in die Eiermasse. Das alles soll natürlich eine Form von Unspießigkeit suggerieren ("Wow, ich bin so locker, dass mir das alles egal ist."). Gleichzeitig hält die Kamera aber dermaßen spießig auf alle diese angeblichen Unspießigkeiten drauf, dass sie als das rüberkommen, was sie eigentlich sind: spießige Klischees von Unspießigkeit. So stellt sich wahrscheinlich meine Oma einen Künstler vor. Gibt sogar seinem Kind Schnaps zu trinken. Verrückt, diese Künstler. Besonders evident wird diese Perpetuierung von uralten Klischees, als der Gorilla beim Eieraufschlagen sogar kurz innehält, damit die Kamera das vom Kostüm herabtropfende Eiweiß filmen kann (30'03''). Toll. Sieht aus wie Sperma. Das vom Ärmel tropft. Er hätte ja auch einfach drauf achten können, den Ärmel nicht in die Pampe zu tauchen. Stattdessen legt er es geradezu drauf an. Und zeigt es nachher auch noch stolz her. Das hinterläßt einen ziemlich schalen Nachgeschmack. Weil es die Widersprüchlichkeit des Reinholdtsen'schen Ansatzes offenlegt: Alles soll sehr uninszeniert wirken, wie im Augenblick erdacht, unfertig, roh, sloppy. Diese gewollte Schludrigkeit wird aber dann mit groben, unreflektiert schludrigen Mitteln ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt und dadurch ihres einzigen Reizes beraubt: ihrer Unabsichtlichkeit. Es gibt nichts Peinlicheres als gewollte Unabsichtlichkeit. Wie bei schlechten Clowns, die ganz ordentlich über ihre zu großen Schuhe stolpern.
Noch deutlicher, bis zu dem Punkt hin, an dem ich richtig genervt war, kommt diese Pseudo-Unabsichtlichkeit eben bei der schon angesprochenen Eierpampe heraus. Es gibt überhaupt keinen einleuchtenden Grund, warum der Gorilla die Eier im halbrohen Zustand servieren sollte. Gut, das Meistersinger-Vorspiel dauert etwa zehn Minuten und bis zu dessen Ende sollte das Omelett serviert und gegessen werden. Reinholdtsen hätte ja aber auch weniger Eier nehmen können. Die wären bis dahin gar geworden. Sind sowieso viel zu viele Eier für zwei Personen. Warum dann also so einen Haufen Eier aufschlagen? Zumal er inkonsequenterweise auch nur so tut, als würde er den Brabsch essen. Wenn er das Zeug ja wenigstens in sich reinstopfen würde. Noch nichtmal das. Als-Ob, wo man auch nur hinsieht. Entweder traut Reinholdtsen seinem eigenen Konzept nicht, oder er wollte sich schlicht nicht die gedankliche Arbeit machen, es sorgfältig umzusetzen. Wobei sorgfältig in diesem Zusammenhang nicht als handwerklich sauber zu verstehen ist, sondern als konsequent. Reinholdtsen will ja nicht handwerklich sauber arbeiten, das habe ich schon verstanden, und das mag ich eigentlich an seinem Ansatz. Aber bei ihm verkommt die handwerkliche Unsauberkeit zu einer bloßen Behauptung ohne Folgen, zu reinem Selbstzweck. Damit führt sie dann jedoch auch keinen Schritt weiter als dasjenige, was sie zu überwinden vorgibt: die bloße Behauptung von Handwerklichkeit. Hätte Reinholdtsen doch bloß das Omelett fertig gekocht.

P.S.: Über den weiteren Verlauf des Videos (Baby wird mit Stock gehauen und erzeugt Töne, Gorilla liest die Instrumentationslehre von Berlioz und dann "Inferno" von Strindberg, immer schön ordentlich gefilmt, so dass man auch ja die Titel lesen kann, und weint dann) decke ich den gnädigen Mantel des Schweigens.

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