Donnerstag, 5. Dezember 2013

Kommentar 15 - Für das Duale System Deutschland oder: Warum Begriffshygiene so wichtig ist

Begriffe sind wie das Duale System Deutschland. Eigentlich sollte alles schön säuberlich getrennt sein, am Ende schmeißt aber doch jeder seinen Kram rein, wo er will. Dann ist man die ganze Zeit beschäftigt, den Leuten zu erklären, dass in die Gelbe Tonne aber nur Plastik und Verpackungen reindürfen, und als Argument kommt zurück, dass das Gelb der Tonne doch eigentlich ziemlich grünstichig sei und man deshalb auch Biomüll reinwerfen dürfen müsse (ja, ich habe gemerkt, dass ich in diesem Vergleich unglücklicherweise als der Chefaufseher des DSD rüberkommen, aber sei's drum). Noch nie was von Strukturalismus gehört? Davon, dass die Begriffe nur in ihrer Relation zu anderen Begriffen einen Sinn haben oder auch bekommen und nicht für sich selbst inhaltsfähig sind. Um es anders zu sagen: Es spielt gar keine Rolle, ob die Gelbe Tonne gelb oder grüngelb oder auch lila und noch nicht mal, ob es eine Tonne oder ein Sack ist. Die Abgrenzung zur Grünen oder Schwarzen Tonne macht erst den Charakter der Gelben Tonne aus. Erst durch das Netz der Tonnenbeziehungen untereinander wird klar, wofür jede Tonne steht. Natürlich gibt es auch dann noch immer Grenzfälle, ich weiß zum Beispiel nie, wo ich die Tetrapacks reintun soll und werfe sie manchmal in die Gelbe Tonne und manchmal in die Papiertonne. Und es gibt auch unerfüllbare Forderungen nach Genauigkeit, dass beispielsweise der entsorgte Müll in der Gelben Tonne ausgewaschen werden soll. Ein wenig Spielraum gibt es ja immer.
Jetzt stelle man sich vor, man trennt immer fein ordentlich seinen Müll, und dann beobachtet man eines Tages seinen Nachbarn dabei, wie er einen Haufen Altpapier in seine Gelbe Tonne wirft. Man spricht ihn darauf an (ja schon klar, ich bin in diesem Fall der spießige Beobachter). Der Nachbar antwortet, er habe sich mal intensiv Gedanken darüber gemacht und sei darauf gekommen, dass Papier ja auch ein Recyclingstoff sei. Deshalb habe er beschlossen, das Papier ebenfalls in die Gelbe Tonne zu werfen und sich das Geld für die Leerung der Papiertonne zu sparen. Na gut, denkt man, irgendwie hat er ja nicht unrecht, lass ihn doch machen. In den nächsten Tagen sieht man, wie der Nachbar immer wieder mit anderen Nachbarn spricht und diese daraufhin auch damit anfangen, ihren Papiermüll in die Gelbe Tonne zu werfen. So langsam beginnt man sich selbst für dumm zu halten, weil man nicht auf den Zug aufspringt und viel Geld spart. Ein paar Tage später macht man einen Spaziergang und als man an den Tonnen des Nachbarn vorbeikommt, stinken diese ganz erbärmlich nach Verrottetem. Komisch, denkt man, ist doch nur Papier und Grüner Punkt drinne, was stinkt denn da so? Eines Abends, es ist ein lauer Sommerabend, sitzt man auf seiner Terrasse, trinkt ein Gläschen Wein. Da bemerkt man im schummrigen Licht der Straßenlaterne eine dunkle Gestalt, die sich an den Mülltonnen zu schaffen macht. Man geht in den Garten, um einen Blick auf den geheimnisvollen Fremden zu erhaschen. Siehe da, es ist der Nachbar. Er holt aus der Gelben Tonne die Säcke mit Recyclingmüll raus und schüttet Biomüll rein. Dann deckt er den Biomüll mit dem Recyclingmüll zu, schließt den Tonnendeckel, schaut sich einige Male verstohlen um und geht wieder in's Haus. Schlau, der Nachbar, denkt man, Biomüll ist ja auch irgendwie Recyclingmüll und inzwischen spart er sich schon die Abholgebühren für zwei Tonnen. Anscheinend haben auch die anderen die Masche des Nachbarn kapiert, auch ihre Tonnen beginnen in der sommerlichen Hitze zu stinken wie faulende Fischinnereien am Strand. Denn die Gelben Tonnen werden nicht wie der Biomüll wöchentlich, sondern nur alle vier Wochen abgeholt. Über das gesamte Wohnviertel legt sich eine widerliche Geruchswolke, man geht schon gar nicht mehr aus dem Haus und hofft nur, dass endlich der Tag der Müllabholung kommen möge. Er kommt auch, aber vom Fenster aus sieht man, wie die Müllmänner die Deckel der Gelben Tonnen anheben und sich voller Ekel die Hände vor den Mund halten. Sie knallen die Deckel wieder zu, holen aus der Hosentasche rote Aufkleber und pappen sie auf die Gelben Tonnen. Und fahren - die Tonnen ungeleert stehenlassend - weiter. Der Aufruhr im Viertel ist natürlich groß. Die Nachbarn sammeln sich auf der Straße, diskutieren aufgeregt, fuchteln mit den Armen. Dann fassen sie offensichtlich einen Plan, sie zerstreuen sich wie auf Kommando. Wenig später fährt einer der Nachbarn mit einem Pritschentransporter vor. Die Gelben Tonnen werden auf die Pritsche geladen und gemeinsam fährt man im Troß weg. Spät abends sieht man die Nachbarn mit leerem Transporter, vollkommen verschmutzten Klamotten und hundemüde wiederkommen. Gelbe Tonnen haben sie jetzt nicht mehr, aber ist Grüner Punkt nicht doch auch irgendwie Restmüll? Wird doch eh alles auf eine Deponie gekarrt...
Und die Moral von der Geschicht? Naja, wer das nicht verstanden hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

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