Montag, 20. Januar 2014

Kommentar 31 - Mensch Heidegger, was hast'n da wieder fabriziert / Filosovi füa Dume 1

Aus aktuellem Anlass beginne ich heute eine neue Reihe, in der ich zentrale Sätze verschiedener Philosophen zum Thema Kunst vorstelle und in Normalsprech zu übersetzen versuche.

Heute: Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Reclam, 1960. S. 56 f. (Ziffern in Klammern habe ich zur besseren Übersicht eingefügt)

(1) Der Ursprung des Kunstwerkes und des Künstlers ist die Kunst. (2) Der Ursprung ist die Herkunft des Wesens, worin das Sein eines Seienden west. (3) Was ist die Kunst? (4) Wir suchen ihr Wesen im wirklichen Werk. (5) Die Wirklichkeit des Werkes bestimmte sich aus dem, was im Werk am Werke ist, aus dem Geschehen der Wahrheit. (6) Dieses Geschehnis denken wir als die Bestreitung des Streites zwischen Welt und Erde. (7) In der gesammelten Bewegnis dieses Bestreitens west die Ruhe. (8) Hier gründet das Insichruhen des Werkes. (9) Im Werk ist das Geschehnis der Wahrheit am Werk. (10) Aber was so am Werk ist, ist es doch im Werk. (11) Demnach wird hier schon das wirkliche Werk als der Träger jenes Geschehens vorausgesetzt. (12) Sogleich steht wieder die Frage nach jenem Dinghaften des vorhandenen Werkes vor uns. (13) So wird denn endlich dies eine klar: Wir mögen dem Insichstehen des Werkes noch so eifrig nachfragen, wir verfehlen gleichwohl seine Wirklichkeit, solange wir uns nicht dazu verstehen, das Werk als ein Gewirktes zu nehmen. (14) Es so zu nehmen, liegt am nächsten; denn im Wort Werk hören wir das Gewirkte. (15) Das Werkhafte des Werkes besteht in seinem Geschaffensein durch den Künstler. (16) Es mag verwunderlich erscheinen, daß diese nächstliegende und alles klärende Bestimmung des Werkes erst jetzt genannt wird. [...]

Es ist so einfach, sich über Heideggers Philosophie lustig zu machen, fast zu einfach ... ach nee, das hatten wir schon mal. Also, wir gehen mal davon aus, dass wir beim Lesen dieser Sätze gelacht und uns ausgelacht haben und versuchen jetzt trotzdem mal zu ergründen, was der Martin uns da eigentlich sagen will, wenn er denn was sagen will, wovon ich mal probehalber ausgehe.

(1) Wir fangen mit einer Definition an. Sehr gut. Nicht, dass wir nachher im Luftleeren herumstochern. Wir müssen ja wissen, worüber wir reden. Wir sprechen also vom Ursprung des Kunstwerkes und des Künstlers. Und erfahren überraschenderweise, dass deren Ursprünge in der Kunst liegen. Ich hätte das nicht gedacht. Nicht im Maschinenbau oder in einer Bäckerei, nein, in der Kunst! Donnerlittchen. Gut, dass wir das schonmal wissen.
(2) Zweite Definition. Was ist eigentlich so ein Ursprung? Offensichtlich hat es etwas damit zu tun, wo etwas herkommt. Daher auch Herkunft. Irgendeines Wesens. Dann wird's kompliziert. Im Ursprung "west das Sein eines Seienden". Nun ist das mit dem "Sein" und dem "Seienden" bei Heidegger so eine Sache. Es würde den Rahmen hier sprengen, auch nur ansatzweise zu klären, was er damit eigentlich meint. Ich versuch's mal ganz grob: Heidegger ist ja der Meinung, dass sämtliche Philosophen vor ihm den Unterschied zwischen "Sein" und "Seiendem" nicht gesehen, verstanden oder überhaupt gemacht haben. Er behauptet, es gäbe eine ontologische Differenz zwischen diesen beiden Begriffen. Also eine "Seins"-Differenz. Er erklärt also die Differenz zwischen zwei Begriffen mit den Begriffen selbst, was es natürlich irgendwie schwer macht, einen verläßlichen Grund unter die Begriffsfüße zu kriegen. (Im Übrigen geht er mit sämtlichen Begriffen so um, siehe auch schon Satz (1)). Das heißt also in diesem Fall: Es gibt einen Unterschied zwischen dem, wie sich ein "Seiendes", also irgendein Ding, uns präsentiert und seinem eigentlichen "Sein", also dem, was es eigentlich ist. Hört sich irgendwie stark nach Kant und seinem "Ding an sich" an. Nur unverständlicher formuliert (natürlich wird diese, sagen wir mal, Parallele von Heidegger-Exegeten auf das Schärfste abgelehnt). Wie auch immer, Heidegger sagt nun also, dass im Ursprung (von was auch immer) dieses eigentliche "Sein", also das "Wesen" eines Dings, mit seiner Erscheinung, also dem "Seienden", in Eins fällt. Puuuh. Erstmal 'nen Kaffee.
(3) Ja, was ist eigentlich Kunst. Ich dachte ja, darum geht es die ganze Zeit schon, aber anscheinend habe ich mal wieder nicht richtig gedacht. Also, nun mal los. Was ist die Kunst?
(4) Aha, das habe ich auf Anhieb verstanden. Das mache ich auch immer so. Ich schaue mir konkrete Werke an. Irgendwelche total abgehobenen metaphysischen Erklärungsversuche interessieren mich überhaupt gar nicht. Heidegger offensichtlich auch nicht ...
(5) Ein wunderbarer Satz. Und ein vollendetes Beispiel für meine Feststellung von oben, wonach Heidegger Begriffe grundsätzlich mit sich selbst definiert. Jaja, ich weiß, er glaubt, mit dieser sprachlichen "Bewegung" könne er sich dem Sein des Seienden nähern, aber das wäre ja nur der Fall, wenn tatsächlich mal eine Bewegung da wäre. Aber diese Sätze sind von einer derart trägen Statik, dass man das Gefühl hat, ewig auf der Stelle zu treten, während im Hintergrund seeeehr langsam schlecht gemalte Landschaftskulissen vorbeigetragen werden. Nun gut, wir lernen: das, was im Werk am Werke ist, ist das Geschehen der Wahrheit. Oder, anders gesagt: Ein Kunstwerk läßt die Wahrheit aufscheinen ("zum Leuchten kommen" [S. 62]). Die Wahrheit worüber? Keine Ahnung. Ich blättere das Heftchen durch und lese alle Stellen zur "Wahrheit". Aha, hier [S. 62]: "[...] zu einer Wahrheit und d. h. zu einer wesentlichen Enthüllung des Seienden als solches [...]". Okay, ich hatte mir etwas Konkreteres erhofft, aber sei's drum: Wahrheit = dass wir erkennen, dass wir nicht das Wesen der Dinge sondern nur ihre Erscheinung erkennen können. Zu diesem Behufe allerdings macht sich die Wahrheit im Seienden selbst zum Seienden und erhält dadurch den ihr eigenen "Zug zum Werk" [alles S. 62]. Woher wir (oder vielmehr Heidegger) dann wissen wollen, dass wir das Sein der Wahrheit am Zipfel hätten und nicht sie selbst als Seiendes, bleibt mir, wie so vieles andere, schleierhaft.
(6) Mannmannmann, schon wieder neue Begriffe. Und schon wieder nichts Greifbares. Dass ein Streit bestritten wird ist keine besonders originelle sprachliche Erkenntnis und darüberhinaus von keinerlei Erkenntniswert. Wer aber streitet, das sind "Welt" und "Erde". Diese Begriffe hat der Heidegger doch bestimmt irgendwo genau definiert. Ja klar [S. 45]: "Die Welt ist die sich öffnende Offenheit der weiten Bahnen der einfachen und wesentlichen Entscheidungen im Geschick eines geschichtlichen Volkes. Die Erde ist das zu nichts gedrängte Hervorkommen des ständig Sichverschließenden und dergestalt Bergenden. [...]". Wo nun plötzlich die Sache mit dem "Volk" herkommt, weiß ich nicht, ich dachte, wir reden hier ausschließlich metaphysisch. Setzt man diese "Definitionen" in unseren Satz (6) ein, kommt Folgendes dabei raus: "Dieses Geschehnis denken wir als die Bestreitung des Streites zwischen der sich öffnenden Offenheit der weiten Bahnen der einfachen und wesentlichen Entscheidungen im Geschick eines geschichtlichen Volkes und dem zu nichts gedrängten Hervorkommen des ständig Sichverschließenden und dergestalt Bergenden." Na bitte. Also ich hab's verstanden.Kann aber verstehen, wenn der eine oder andere gerne eine etwas nähere Bestimmung hätte. Also zurück auf S. 40, wo es heißt: "Welt ist nicht die bloße Ansammlung der [...] Dinge. Welt ist aber auch nicht ein nur eingebildeter [...] Rahmen. Welt weltet [Hervorhebung im Original] und ist seiender als das Greifbare und Vernehmbare, worin wir uns heimisch glauben." Wenn's jetzt nicht geschnackelt hat, dann weiß ich auch nicht weiter. Welt weltet. Tisch tischt. Stuhl stuhlt. Tasse tasst. Heidegger heideggert.
(7) Was zur Hölle ist eine "Bewegnis"? Meint er eine "Bewegung"? Eine "Be-Weg-Nis", also die Zurücklegung eines Weges? Was ja nichts anderes als eine "Bewegung" wäre. Oder das Herstellen eines "Weges"? Wie kann sowas "gesammelt" sein? Und warum west darin, also in was auch immer, "die Ruhe". Und warum soll das wichtig sein? Blätter, blätter. S. 45: "Wenn Ruhe die Bewegung einschließt [was Heidegger vorher "bewiesen" hat], so kann es eine Ruhe geben, die eine innige Sammlung der Bewegung, also höchste Bewegtheit ist, gesetzt, daß die Art der Bewegung eine solche Ruhe fordert." Warum schreibt er dann später nicht "Bewegtheit" anstatt "Bewegnis"? Mal davon abgesehen, dass hier auf S. 45 so ziemlich alles durcheinander geht, was durcheinandergehen kann: Ruhe ist "freilich [!!] nur der Grenzfall der Bewegung". Also ist auch Ruhe nur eine Form von Bewegung. Also gibt es keine eigentliche Ruhe. Also operiert Heidegger mit einem uneigentlichen Begriff, also einem "verstellten Seienden". Also ist das alles bloß Wortgeklingel.
(8) Ich hab mich schon die ganze Zeit gefragt, wo das "Insichruhen des Werkes" gründet. Jetzt weiß ich es: in der Ruhe. Freilich.
(9) Wir fassen das bisher Gelernte zusammen: Ein Kunstwerk macht das Seiende als Seiendes sichtbar.
(10) Und lernen weiter, dass wir noch nicht genug gelernt haben. Denn das "Geschehnis der Wahrheit" ist nicht nur "am Werk", sondern auch "im Werk". Neben der etwas blassen und allmählich ermüdenden, weil oft wiederholten sprachspielerischen Verwendung der aktiven und passiven Bedeutungen des Wortes "Werk" wird also das bisher Gesagte nochmal verunklart, damit wir nicht auf die Idee kommen, es sei schon irgendetwas erklärt worden. Und weil die Gedanken von sich aus keinen weiteren Impuls hergeben, wird einfach an der Sprache rumgebastelt, bis eine vermeintliche Lücke, und sei sie noch so winzig, irgendwo öffnend sich öffnet.
(11) Wie, "demnach"? Aus dem ganzen undurchschaubaren Wust von doppel-, dreifach- und vierfachbödigen Pseudodefinitionen soll jetzt also eine Schlussfolgerung gezogen werden? Na gut, dann mal los. Ach nee, keine Schlussfolgerung. Das "demnach" ist hier bloss als grammatikalisches Füllsel eingesetzt und soll keine inhaltliche Folgerung anzeigen. Wir erfahren nur nochmal, dass wir von konkreten Kunstwerken reden, die schon da sein müssen, damit all der Kram, den wir über konkrete Kunstwerke gedacht haben, auch tatsächlich stimmt. Wir reden also nicht metaphysisch, sondern ganz konkret. Daher (inhaltlich / kausales "daher") auch:
(12) Die Frage nach dem "Dinghaften des vorhandenen Werkes". Die "sogleich" wieder "vor uns" steht. Ja natürlich. "Sogleich". Dass im Werk ein "Dinghaftes" ist, sei ja nun unbestreitbar [S. 55: "[...] kommt auch jenes Dinghafte ins Werk. Das ist unbestreitbar."], was aber dieses "Dinghafte" sein soll außer der fast schon beleidigend offensichtlichen Tatsache, dass ein Werk immer auch ein Ding ist (ein Buch, eine Partitur, ein Bild, ein Objekt), das bleibt unklar. Später [S. 70] behauptet Heidegger dann sogar noch, dass das Dinghafte, was wir am Werk wahrnehmen, gar kein Dinghaftes sei, sondern ein "Erdhaftes". Ah ja. Also ein "zu nichts gedrängtes Hervorkommen des ständig Sichverschließenden und dergestalt Bergenden"-haftes. Also war die Rede vom Dinghaften die ganze Zeit über bloß ein "Holzweg". Um uns vorzuführen, wie doof wir sind, weil wir nicht zwischen "Dinghaftem" und "Erdhaftem" unterscheiden. Im täglichen Leben.
(13) Es wird was klar. Endlich. Aber nur "dies eine" (nicht zu viel auf einmal, dabei dachte ich immer, es geht die ganze Zeit um irgendeine Klärung). Aber immerhin. Ich lese also, was nun klar wird. Werden soll. Eigentlich. Quintessenz: Das "Werk" ist ein "Gewirktes". Wenn wir das nicht beachten, dann erkennen wir nicht die Wirklichkeit des Werkes. Also das Sein des Seienden. Um Gottes Willen, das wollen wir natürlich vermeiden. Also merke: Das Werk ist ein Gewirktes. Was bedeutet das? Na ganz einfach, dass
(14) beide Begriffe dieselbe Wurzel haben. Toll. Im ersten Halbsatz entschuldigt sich Heidegger dafür, dass er uns mit so einem leicht verständlichen Kram belästigt. Dann aber kommt der entlarvendste Satz im ganzen Kapitel, ja im ganzen Buch: "[...] denn im Wort Werk hören wir das Gewirkte."
(15) Und wir setzen noch einen drauf auf die fortgesetzten Feststellungen des Offensichtlichen. Ein Kunstwerk heißt deshalb Kunstwerk, weil ein Künstler es gemacht hat (meinetwegen auch: weil es durch das Wirken eines Künstlers entstanden ist). So könnte man es hinschreiben, aber dann würde ja jeder sofort merken, dass das irgendwie total offensichtlich und überhaupt keine besonders tiefsinnige Einsicht ist. Deshalb denkt Heidegger sich flugs einen Begriff aus und nennt das Ganze dann das "Geschaffensein" des Werkes. Das verunklart nicht nur den Sinn dieses Satzes einigermassen, sondern verschafft Heidegger wieder einmal diese Lücke, die ich oben erwähnt habe, in die hinein er wieder eine Pseudobewegung vollführen kann. Weiter unten auf S. 57 heißt es nämlich: "Das Geschaffensein des Werkes läßt sich aber offenbar nur aus dem Vorgang des Schaffens begreifen." Ich denke, das Strickmuster ist klar: Erfinde einen Begriff, der eine bekannte Wortwurzel irgendwie fremdartig aussehen läßt. Erkläre diese Wortschöpfung dann mit einem bekannten Wort derselben Wortwurzel und füge in die Erklärung gleichzeitig noch einen weiteren Neologismus ein, der wiederum auf einer anderen Wortwurzel beruht und diese irgendwie fremdartig aussehen läßt und erkläre im nächsten Satz diesen neuen Neologismus mit einem bekannten Begriff derselben Wortwurzel und füge ... usw. usw. Das kann man natürlich eine Denkbewegung nennen, ich würde es eher als einen Denkbrummkreisel bezeichnen. Denn die Begriffe decken sich gegenseitig, wie die Verdächtigen in einem schlechten Krimi. Und folgerichtig kommen wir nach 80 Seiten genau da an, wo wir angefangen haben [S. 80]: "Die Kunst läßt die Wahrheit entspringen. Die Kunst erspringt als stiftende Bewahrung die Wahrheit des Seienden im Werk. Etwas erspringen, im stiftenden Sprung aus der Wesensherkunft ins Sein bringen, das meint das Wort Ursprung." Während wir die ganze Zeit dachten es geht um den "Ursprung des Kunstwerkes", hat Heidegger sich offensichtlich die ganze Zeit damit beschäftigt, den "Ursprung des Kunstwerkes" zu suchen. Oder so zu tun, als suchte er ihn. Denn irgendwie klingt dieses "Fazit" verdächtig nach dem Anfang [S.7]: "Ursprung bedeutet hier jenes, von woher und wodurch eine Sache ist, was sie ist und wie sie ist." Alles klar! Die restlichen 80 Seiten hätte es ja gar nicht gebraucht.
(16) Immerhin, Heidegger hat ja wohl Humor. Ich jedenfalls habe herzlich gelacht.