Dienstag, 12. November 2013

Kommentar 3 - Claus-Steffen Mahnkopf hört sich ein Streichquartett von Wolfgang Rihm an und schreibt nachher was drüber

In der aktuellen Musik&Ästhetik (Heft 68, Oktober 2103) ist eine Rezension von Claus-Steffen Mahnkopf über Wolgang Rihms neues Streichquintett Epilog erschienen. Das Streichquintett wurde, so erzählt es Mahnkopf, beim diesjährigen Eclat-Festival zu Ehren dessen scheidenden Leiters Hans-Peter Jahn vom Arditti Quartett und Jean-Guihen Queyras uraufgeführt. Die Rezension ist ebenfalls Jahn zugeeignet. So weit so gut.

In scheinbar lockerem Plauderton berichtet Mahnkopf, was ihm so beim Hören des Quintetts durch den Kopf gegangen ist ("Wenn jetzt noch ein zweiter Satz kommt, bringe ich Wolfgang nachher um"), und beschreibt den Verlauf des Stückes, immer wieder durchsetzt mit lobenden Bemerkungen über das Stück, wie es genau die richtige Länge habe, wie es genau richtig das Material entwickle, wie es in seiner Instrumentation das Material widerspiegele usw. Spätestens zwei Sätze nach jedem Lob jedoch wird mit einem großen Aber das ganze Lob wertlos gemacht. Schlimmer noch: Durch das Lob wird erst die Höhe für Rihm eingerichtet, die ihn durch die spätere Kritik umso tiefer fallen läßt. Dabei bezieht sich das Lob auf das besprochene Quintett, die Kritik auf Rihms gesamtkompositorische Erscheinung. Beispiel gefällig?

Dieser Schluss hat Größe. [...] Manchmal reicht eine kleine Entscheidung für oder wider etwas, um ein Werk auf eine höhere Rangstufe zu setzen [...] Ich kann es nicht beweisen, würde aber wetten, dass der Komponist das Werk ohne präkompositorische Planung niederschrieb. Das verlangt Respekt. S. 11 - 12
Hört sich doch gut an? Jetzt aber:
Nun, er hat in seinem Leben viel, vielleicht zu viel komponiert, Routine und Erfahrung sammeln sich an [...] S. 12
Zack, mit der flachen Hand nochmal eins über den Hinterkopf gewischt. Das endgültig tödliche Lob aber hebt Mahnkopf sich für den Schlussabsatz auf. Darin berichtet er von der Reaktion einer Sitznachbarin, die vollkommen überflüssigerweise ausladend als "ausgewiesene Interpretin neuer Musik, welche die anspruchsvollsten und avanciertes Werke darbietet" charakterisiert wird, die also nun nach der Aufführung zu ihm, Mahnkopf, gesagt hätte, dass endlich mal jemand den Mut hat, "etwas für das Herz zu komponieren". Und dann kommt der Todesstoß:
In der Tat, das tut Rihm, und das kann er. S. 12
Um zu verstehen, warum dieser für sich genommen harmlose Satz so zerstörerisch wirkt, muss man zum Anfang zurückblättern und dort lesen, was Rihm als Komponist nach Mahnkopfs Eindruck ausmacht:
Rihm schreibt in der Regel keine komplexe Musik, er ist kein Philosoph unter den Komponisten, eher ein Philanthrop, [...] ein Tondichter [...] S. 5
Immer noch nicht verstanden? Zur besseren Einordnung muss man vielleicht noch wissen, dass Mahnkopf laut eigener Aussage, wäre er nicht Komponist geworden, Philosoph geworden wäre und auch tatsächlich (unter vielem anderem) Philosophie und Soziologie studiert hat. Dann geht der Vorhang auf und man kann den obigen Satz aus dem Mahnkopfischen ins Deutsche übersetzen: "Rihm ist ein einfacher Geist, der einfache Musik für einfache Geister macht, ganz anders als Mahnkopf, der Philosoph unter den Komponisten."
Und jetzt wird mir auch klar, warum mich während der gesamten Lektüre der Rezension ein so merkwürdiges Gefühl begleitet hat, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Oberflächlich betrachtet bespricht Mahnkopf ein Streichquintett von Wolfgang Rihm, und das recht wohlwollend. Untergründig redet Mahnkopf ununterbrochen von sich selbst und unterminiert permanent Rihms Musik und seine Persönlichkeit. Das finde ich dann doch irgendwie nicht so okay ...
 
Zitate aus: Musik&Ästhetik, 17. Jahrgang, Heft 68, Oktober 2013, Klett-Cotta Stuttgart

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen