Freitag, 22. Januar 2016

Kommentar 49 - Großer Gott (nein, ohne Lob) oder: Wie ich einmal ganz stark war und mir einen Programmhefttext durchgelesen habe

Wenig Zeit? Am Textende gibt's keine Zusammenfassung. 
Wenn Sie aber doch Zeit haben, dann empfehle ich einen der folgenden Soundtracks (ganz leise während der Lektüre im Hintergrund zu hören): Den, den (und dann auf Autoplay schalten) oder den.


Ich dachte, ich mach zwischendurch mal eine Textanalyse, irgendwie hab ich für diese Woche genug Neue Musik gehört. Wie durch Zufall habe ich auch zwei wunderbare Texte parat, beide von Rainer Kohlberger, der Medienkunstirgendwas, ach was, reden wir nicht lange drumherum: Medienkunstquatsch macht. Entschuldigung, ich muss natürlich differenzieren: Großen Medienkunstquatsch.


Kohlbergers Selbstbeschreibung (ich gehe mal davon aus, dass diese Vita keine hochdotierte Werbeagentur verfaßt hat) liest sich so:

Rainer Kohlberger, geboren in Linz, lebt als freischaffender Videokünstler und Filmemacher in Berlin [ja wo denn sonst? Ich bin ja dafür, nur noch Wohnorte in Bios zu nennen, die nicht "Berlin" heißen]. Seine algorithmisch komponierten [wie jetzt, "komponierten", ich denke, er ist "Videokünstler und Filmemacher"? darf denn jetzt schon jeder komponieren?] Arbeiten kerben [hä?] sich aus einer reduktionistischen Ästhetik der Flächigkeit [ich muss jedesmal laut lachen, wenn ich das lese. Eine "Ästhetik der Flächigkeit" ist schon von sich aus "reduktionistisch", weil sie alles mögliche andere von vorneherein ausschließt. Das ist also schonmal eine Tautologie. Mir leuchtet auch nicht ein, warum man sich in seiner Vita (!!) schon auf so einen seltsam eingeschränkten Ästhetikbegriff freiwillig kapriziert. Und darüber hinaus weiß ich gar nicht, ob "Ästhetik der Flächigkeit" wirklich etwas bedeutet, also hier draußen, in der Nicht-Medienkunstquatsch-Welt, wo Begriffe tatsächlich hin und wieder einen echten semantischen Wert haben; und zu guter Letzt habe ich keine Ahnung, wie man aus einer "Ästhetik", sei es eine der Flächigkeit oder der räumlichen Tiefe, irgendetwas "kerben" kann], der Drones [oh Gott, Drones schon wieder, hat doch der Niblock schon abgefrühstückt, kennste einen Drone, kennste alle, weiß gar nicht, was alle mit diesen Drones haben, es brummt halt lang rum, mal mehr mal weniger hell oder dunkel oder laut oder leise] und Interferenzen [klingt immer gut, "Interferenzen", kann man nix falsch machen]. Den Bild- und Klangwelten [aha, ganze Welten also gleich, drunter geht's wohl nicht, nicht etwa Bildabstellkammer oder Klangdoppelhaushälfte] inhärent [natürlich, "inhärent", wir wollen ja nicht, dass das jeder Trottel gleich versteht, ist ja schließlich Kunst] ist dabei das Rauschen [mit anderen Worten: Bilder und Töne (von Kohlberger, oder überhaupt alle? Wird nicht ganz klar) rauschen manchmal oder öfter oder immer. Warum nicht gleich so? Ach so, klingt irgendwie banal? Naja, vielleicht liegt das daran, dass die Aussage von Kohlbergers Satz eben banal ist] - es fasziniert [also mich bis jetzt noch nicht] als die Ahnung einer Unendlichkeit [Achtung, jetzt wird's gut], die sowohl die letztgültige Abstraktion als auch unverbesserlich verschwommen ist [Evangelium nach Rainer; das ist nun wirklich kompletter Nonsens, dazu noch semantisch völlig schief, ausserdem ein ungekennzeichnetes Zitat, wie später klar wird: Er meint wahrscheinlich (ich versuche tatsächlich, diesem Gesülze irgendeinen Sinn abzugewinnen), dass man das Rauschen nicht wegbekommt oder sowas in der Art, daher das "unverbesserlich", das aber natürlich im Deutschen (im Kohlbergerischen vielleicht nicht) die Konnotation von charakterlichen Defiziten hat, also im Zusammenhang mit Verhalten von Personen gebraucht wird; man sagt ja auch nicht: Dieser Motor verbraucht unverbesserlich viel Benzin]. Seine Arbeiten [die gekerbten also] wurden international [ich nehme mal an Deutschland und Österreich] in unterschiedlichen Formaten und Kontexten [Worthülsenalarm] gezeigt - Filme, Raum-Installationen und Live-Performances [alles dabei, was das KünstlerHipsterherz begehrt] lassen sich in einer konzentrierten Form der Intensität erfahrbar machen [oh Mann, wo soll ich da anfangen? Erstens: Wieso "lassen" sie sich "erfahrbar machen"? Klingt wie ein mieser Werbetext für eine Wellness-Oase: "Lassen Sie sich von uns in die Welt der Sinne entführen." Ich denke, er hat diesen ganzen Kram schon aufgeführt, wieso also dieses ins Futur weisende "lassen"? Wo läßt sich das Zeug erfahrbar machen, in den Formaten und Kontexten? In welchen genau? Zweitens: eine "konzentrierte Form der Intensität" ist schon wieder tautologisch. Intensität ist schon von sich aus konzentriert, sonst hätte Sie kein Intensitäts-haftes an sich (Kant, halt dir die Ohren zu). Gibt keine breitgefächerte Intensität, oder eine lasche Intensität. Und drittens: Warum überhaupt ist es erwähnenswert, dass irgendein Zeug in einer "konzentrierten Form der Intensität erfahrbar" sein soll? In jedem stinknormalen Abokonzert kann ich diese sogenannte Intensität erfahren, was zum Teufel brauche ich da noch irgendwelche "Formen und Kontexte"?]. Er wurde mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet [na klar].
 (entnommen dem Programmheft von klub katarakt 11, Lange Nacht, 16.1.2016)

Wer jetzt denkt, okay, die Vita ist vielleicht aus Platzgründen irgendwie zusammengekürzt und dadurch entstellt worden, dem muss ich leider noch den Programmtext von fluctuations (around zero) und (around one) zumuten. Da wird's erst richtig lustig (oder auch nicht, je nachdem).

Rainer Kohlberger: Hintergrundrauschen [steht genau so in o.g. Programmheft]

In meiner Arbeit bewege ich mich sehr nahe an dem, was es heißt, grundsätzliche Paradigmen des Digitalen zu begreifen und erkennbar zu machen. Deshalb ist es notwendig, einen kurzen Einblick in jene Genealogie zu verschaffen, die meinem Denken vorausgeht.
Sätze, wie aus Wackelpudding gemeißelt. Es stimmt fast nix daran. "Grundsätzliche Paradigmen" ist eine Tautologie (eine Spezialität von Kohlberger offensichtlich), ein Paradigma ist immer etwas Grundsätzliches; "Paradigmen des Digitalen" gibt es nicht, was soll denn das sein, das "Digitale" an und für sich (streng genommen ist es einfach ein binäres Zahlensystem, aber das meint er ja wohl nicht, er meint ja wohl eher "Kompjutaah")? Warum man "grundsätzliche Paradigmen des Digitalen" in einem Kunstwerk begreif- und erfahrbar machen soll, erschließt sich mir nicht, bzw. ist das ja Unsinn: Dazu gibt es wissenschaftliche Theorien, Medientheorie, Zahlentheorie und dergleichen. Man kann solche Theorien für Kunst fruchtbar machen (auch die Frage, ob man das unbedingt muss, aber immerhin), aber "Paradigmen" in Kunst begreifbar zu machen ... I don't think so.
"Deshalb" verstehe ich nicht, ich denke, die künstlerische Arbeit soll die Paradigmen begreifbar machen, weshalb also jetzt noch der ganze Sermon mit Pseudo-Medientheorie (immerhin noch 2 eng bedruckte Seiten, die folgen)? "Einen kurzen Einblick" ist auch gleich gelogen, der Einblick ist wie gesagt 2 Seiten lang, eine reine Unverschämtheit für einen Programmtext. "Genealogie, die meinem Denken vorausgeht" ist mal wieder eine Tautologie, eine Genealogie geht immer voraus, niemals nach. Den Beweis, dass Kohlberger ein eigenes "Denken" hat, bleibt er bislang schuldig.

Die Universalmaschine Computer bietet seit ihren Anfängen das Versprechen einer neuen Ästhetik, einer 'Künstlichen Kunst', in der Bilder und Töne prozessual komponiert werden. Programme folgen dabei Notationen, in denen zeitliche und räumliche Strukturen beschrieben und abstrahiert werden. Der Computer bietet sich als frei formbares Medium des 'anything goes' an, mit dem alles, was denk- und imaginierbar ist, in abstrahierten Prozessen generiert werden kann.
Ach so, so weit geht seine "Genealogie" also zurück, bis zu den Anfängen der "Universalmaschine Computer". So viel zum "kurzen" Einblick. Ausserdem eine Banalität, das Gequatsche von der "Universalmaschine". Die "Universalmaschine Computer" hat darüber hinaus nie irgendein Versprechen abgegeben. Ist nicht besonders wissenschaftlich, seinen Untersuchungsgegenstand zu anthropomorphieren, es sei denn, man wäre Anthropologe. "Künstliche Kunst" ist so ein Ausdruck (keine Ahnung, wo Kohlberger den herhat, offensichtlich ja ein Zitat oder was?), von dem man im ersten Augenblick vielleicht (NUR VIELLEICHT! AM BESTEN NICHT!) denkt: interessant! und gleich im anderhalbten Augenblick denkt (DENKEN SOLLTE!!SPÄTESTENS): Nee, Quatsch, bedeutet ja nix. Aber immerhin: es sollen "in" dieser Kunst "Bilder und Töne prozessual komponiert werden". Das ist ja toll. Bisher mußte man immer Schritt für Schritt komponieren, jetzt soll das Ganze also "prozessual" gehen. Wahnsinn. Ach, das noch ist nicht alles: "Programme folgen dabei Notationen" und in diesen Programmen werden "zeitliche und räumliche Strukturen beschrieben und abstrahiert". Alles auf einmal. Diese Wahnsinnsprogramme würde ich gerne mal sehen, die irgendwelchen Notationen (von was eigentlich?) folgen (wohin eigentlich?). Und "beschreiben und abstrahieren" in Einem ist natürlich großartig, diese ominösen Programme können dann auch bestimmt Dinge wie die Quadratur des Kreises und die letzte Nachkommastelle von Pi in "abstrahierten Prozessen generieren". Als "frei formbares Medium" bietet sich der Computer aber dann doch eher nicht an, denn selbstverständlich ist auch das Medium Computer gewissen Einschränkungen unterworfen wie alle anderen Medien auch, nicht zuletzt deshalb gibt es ja im Augenblick z.B. die Retro-Bewegung zurück zu analogen Hardware-Synthesizern, Plattenspielern und so 'nem Zeug. Dass Kohlberger das Denken und das Imaginieren als zwei verschiedene Tätigkeiten begreift, spricht dann wieder für sich selbst.

Heute, ein halbes Jahrhundert, nachdem der Computer in den Künsten Einzug fand, hat sich dieser in einer rasanten technologischen Entwicklung zum ständigen Begleiter gewandelt. Er hat uns schon immer umgeben. Ursprünglich füllte er den gesamten Raum aus, in dem wir mit ihm operierten. Wir bewegten uns in ihm. Heute ist er durch seine Verkleinerung ubiquitär geworden - er steckt in nahezu allen technischen Medien und Instrumenten, mit denen wir Bilder und Töne aufnehmen, verarbeiten und wiedergeben. Er ist uns sehr nahe geworden.

Ich hab noch nie davon gehört, dass die technologische Entwicklung "rasant" wäre, ich dachte bisher immer, sie verliefe "gemächlich". Und auch die Tatsache, dass der "Computer" unser "ständiger Begleiter" sein soll, ist mir völlig neu. Ich dachte, das Ding in meiner Tasche, das so schön leuchtet und durch das manchmal Stimmen zu mir sprechen, wäre ein Käfig für gentechnisch manipulierte, verschiedenfarbig leuchtende Mini-Glühwürmchen, deren zartes Summen (auch gentechnisch angezüchtet) sich wie Menschensprache anhört, wenn man das Ohr ganz nah an den Käfig hält. Aber Computer, nein!
Der folgende Satz ist dann wieder ganz klar und rein in seiner Aussage, denn der Computer hat "uns schon immer umgeben". Also auch in prähistorischer Zeit. In der Antike. Im Mittelalter, der Renaissance, der Aufklärung, der Romantik. Immer, immer, immer schon. Also ist der Computer Gott. Nehme ich zumindest mal an, seine Omnipräsenz wäre sonst für mich mit meinem doch reichlich beschränkten Denk- und Imaginierinstrumentarium schwer begreiflich. Muss wohl richtig sein, denn weiter geht es mit der Aussage, dass er (Gottcomputer bzw. Computergott) den "gesamten Raum" ausfüllt und wir uns in ihm bewegen. Ach nein, nicht ganz, Vergangenheit: "bewegten". Also nicht mehr. Ja klar, Theodizee, Eli, Eli, lema sabachthani und so weiter! Deep stuff, man! Dann habe ich aber doch ein kleines Verständnisproblem, denn mir ist nicht ganz klar, wieso er uns "schon immer umgeben" hat, aber erst heute "ubiquitär" und uns "sehr nahe" ist. Ist denn der Jüngste Tag da? Kehrt Gott wieder, um zu richten die Lebenden und die Toten? Sieht so aus, jedenfalls wenn man Kohlberger glaubt. Und das tue ich vorbehaltlos.

Wurde die Maschine immer kleiner, so wurde sie doch in der jüngsten Spielart medialer Künste immer sichtbarer. Glitches, Artefakte und Pixel haben als gestalterisches Stilmittel nicht zuletzt in der Popkultur Einzug gehalten. Auch die vagen Zuordnungen von Urheberschaft im Internet und seiner 'Memes' hat dazu beigetragen, dass sich dabei ein Formenkanon herausgebildet hat, in dem wir Zeichen einer post-digitalen Ästhetik vorfinden. "In einer scheinbar selbstverständlichen Assemblage neuer und alter Ausdrucksformen gilt diese [post-digitale] Ästhetik als Gegenläufer zum Computer als Universalmaschine" (Cramer, 2014).

Ich fange mal hinten an: Die gekürzte Angabe eines zitierten Titels ist nur zulässig, wenn man in einer Fußnote oder in einer Literaturliste die vollständigen Informationen angibt (passiert hier nicht). Das Zitat von Cramer widerspricht Kohlberger direkt, weil es behauptet, die neue Ästhetik sei ein "Gegenläufer zum Computer als Universalmaschine", Kohlberger jedoch grade eben noch festgestellt zu haben wissen will, dass der Computer immer noch als Universalmaschine gilt ("[...] mit dem alles [ALLES!], was denk- und imaginierbar ist, in abstrahierten Prozessen generiert werden kann."). Also verstehe ich nicht, inwiefern das Zitat Kohlbergers Position (mal angenommen, er hätte eine) untermauern soll. Was überhaupt eine "post-digitale Ästhetik" sein soll, ist mir sowieso schleierhaft. Der Computer ist doch das digitale Medium schlechthin, wie soll man denn mit seiner Hilfe etwas "Post-Digitales" erzeugen können. Davon abgesehen ist "digital" auch keine Zeit- oder Ortsangabe, die man hinter sich lassen könnte (anders, als beispielsweise die Moderne). Dass wir außerdem schon post-digital sein sollen, wo doch andernorts feste behauptet wird, die "digitale Revolution" stünde uns in ihrer gesamten Wucht und Schönheit (?) noch bevor, das kommt mir dann doch so vor, als würde man auf der Autobahn von einem Reifen überholt, der sich vom eigenen Fahrzeug gelöst hat. Da helfen dann auch die Hinweise auf so mundane Zeugs wie "die vagen Zuordnungen von Urheberschaft im Internet" nicht weiter (davon ganz abgesehen, dass es "[...] die vagen Zuordnungen [...] haben dazu beigetragen" heißen muss). Und schon gar nicht ist die Aufzählung von "Glitches, Artefakten und Pixel" in irgendeinem mir bekannten Sinne des Wortes "Hilfe" hilfreich. Saucoole Wörter natürlich alles, keine Frage, aber genauso natürlich absolut digitale, oder soll ich sagen: non-post-digitale Begriffe.

Diesen Gegensatz können wir noch einmal verschieben, wenn wir die diskrete Logik der Rechenmaschine, deren CPU in ihrer geometrischen Anordnung an eine städtische Architektur erinnern mag und in der sich die Verschaltungen der getakteten Signale immerzu wiederholen, mit dem Rauschen kontrastieren.

Äh, NEIN ("Diesen Gegensatz können wir noch einmal verschieben"; welchen Gegensatz überhaupt, den zwischen "post-digitaler Ästhetik" und dem Computer als Universalmaschine? Hab ja oben schon ausgeführt, dass es den gar nicht gibt, jedenfalls nicht so, wie Kohlberger sich dies imaginiert und denkt), NEIN ("in ihrer geometrischen Anordnung an eine städtische Architektur erinnern mag"; die wenigsten Städte sind streng geometrisch aufgebaut; und selbst wenn, was beweist das?), NEIN ("in der sich die Verschaltungen der getakteten Signale immerzu wiederholen"; verschaltet sind nicht die Signale, sondern die Signalwege; die Verschaltungen wiederholen sich auch nicht, sondern die Signalwege werden immer wieder benutzt) UND NOCHMALS NEIN ("mit dem Rauschen kontrastieren"; das Rauschen ist in diesem Fall genauso digital [jedenfalls sagt er nirgendwo, dass er ANALOGES Rauschen meint] wie der Rest, also das Signal; der Kontrast, den Kohlberger so verzweifelt herbeibetet, funktioniert im Grunde nur über eine nachträgliche Interpretation des Rauschens als Störung des Signals, was er aber zwei Absätze später ablehnt; also geht gar nix mit Kontrastierung).

Stellt der Raster seit Jahrhunderten eine Kulturtechnik dar, um Ordnung und Struktur herzustellen, um Informationen und Personen zu adressieren (man denke an Städte wie Rom und Manhattan), so steht das Rauschen für das Unendliche, das Meer. Es wird zum Nicht-Ort, und "konstituiert einen Raum der Kontingenz." (Siegert, 2003)
Okay, es muss "das" Raster heißen, das kriegt er inzwischen geschenkt. Manhattan ist keine Stadt, sondern ein Stadtteil von New York, bestenfalls eine Insel. Warum ausgerechnet das in Jahrtausenden Siedlungsgeschichte zurechtchaotisierte Rom als Beispiel für eine Rasterstadt herhalten muss, bleibt Kohlbergers Geheimnis. Das Rauschen kann auch für Blähungen stehen, oder eine Eiswüste, eine Behauptung jedenfalls wird nicht dadurch wahrer, dass sie irgendwie poetisch klingen soll. Mir kommt das alles seltsam verräterisch zusammengestückelt vor. Ich warte ja noch auf Kohlbergers "Denken". Bis jetzt sind das alles Versatzstücke aus irgendwelchen zusammengeklaubten Medientheorien. Eigentlich wollte ich nicht weiter recherchieren (kein' Bock), hab dann aber doch auf die Schnelle ein Papier von Bernhard Siegert gegoogelt und prompt festgestellt, dass nicht nur der bescheuerte "Raum der Kontingenz" da drin vorkommt (S. 95), sondern auch der Quatsch mit der Kerbe und dem Meer. Ausserdem hat Kohlberger da was falsch verstanden, denn Siegert redet eigentlich vom "Ortlosen" und nicht vom "Nicht-Ort", anderenorts vom "Nicht-am-Ort-Sein". Einen Satz später kommt der "Nicht-Ort" dann tatsächlich vor, aber es geht da um den " 'Ort' der Ausdifferenzierung von Ort und Nicht-Ort", whatever the fuck that's supposed to mean. Das ist natürlich alles sowieso schon Pseudogeschwafel, das womöglich nichts bedeutet, aber das dann auch noch falsch zu verstehen, naja.

Es ist weniger die häufig negativ gelesene Konnotation des Rauschens, die für mich entscheidend ist - etwa als ein Störsignal, das unerwünscht ist, wenn auch in diesem Verhältnis durchaus seine Unabdingbarkeit, um Information erst zu übermitteln, interessiert, so wie Claude Shannon aufgezeigt hat. Vielmehr ist es eine Faszination, die es ausübt, eine Ahnung einer Unendlichkeit, die "sowohl die letztgültige Abstraktion, als auch unverbesserlich verschwommen ist" (David Foster Wallace). Als etwas, das nicht fassbar ist, in dem eine Ahnung des Neuen steckt, das in die Welt kommt.
Ich verliere langsam echt die Lust, aber es hilft nichts, da muss ich jetzt durch, alleine schon, um mich selbst davon zu überzeugen, dass nicht ich bekloppt bin.
Zunächst mal finde ich sehr schön, dass Kohlberger dem Rauschen eine Chance geben will. Ist ja wirklich schlimm, diese "häufig negativ gelesene Konnotation des Rauschens". "Das Boot ist voll, Frau Merkel", möchte ich aus Trotz gleich rufen, "wir schaffen das mit dem Rauschen nicht!" Leider verunklart Kohlberger seinen wirklich ehrenwerten Einsatz für das (weiße oder pinke oder braune??) Rauschen gleich wieder, indem er ein Satzungetüm anfügt, das bestimmt maroder als die Schiersteiner Brücke ist. Es geht um irgendein "Verhältnis", man weiß nicht zwischen was, wahrscheinlich zwischen Rauschen und Signal. Diese temporäre Unsicherheit wird aber gleich wieder mittels namedropping zugeschüttet. Wenn ein Shannon das gesagt hat, dann muss ja was dran sein. Also abgesehen davon, dass die von Shannon (vor knapp 70 Jahren! also cutting edge) ausgearbeitete Informationstheorie ausdrücklich die Semantik ausschließt und im Grunde ihres kalten Herzens ein rein statistisches Verfahren zur Ermittlung des notwendigen Signal-Rausch-Abstandes ist (ja hallooo, ich wußte immer, dass sich das eine Semester Medientheorie irgendwann auszahlt), wird sie auch einfach nicht richtig von Kohlberger wiedergegeben: Ich würde gerne mal die Textpassage bei Shannon sehen, wo davon die Rede ist, dass das Rauschen "unabdingbar" für die Informationsübermittlung sei. Dass ein Riesenhaufen Information einem Rauschen nicht unähnlich ist, wie Shannon (wirklich) festgestellt hat, ist ja doch irgendwie etwas anderes, als einfach zu behaupten, man brauche Rauschen (Brausche rauchen) zur Informationsübermittlung. Dann kommt ja noch der Mist mit der Unendlichkeit, der auch nicht dadurch besser runtergeht, dass er von DAVID FOSTER WALLACE, der SCHRIFTSTELLERLEGENDE, dem MYTHOS, stammt. Na und, jeder labert mal Scheisse.

Bei Deleuze/Guattari ist das Meer der glatte Raum par excellence. Doch es steht auch für den Archetyp aller Einkerbungen, die in ihm vorgenommen werden. So ist es jene Verschränkung des Glatten und des Gekerbten, deren wechselseitige Beziehung und ihre Wandelbarkeit, die es ermöglichen, jene Spielfläche zu beschreiben, in der meine Arbeit angelegt ist.

Aua, mein Kopf tut weh. Und ich bin traurig. Über so viel Hilflosigkeit. Die natürlich schnellstens kaschiert werden muss, so dass Kohlberger jetzt anfängt, mit den ganz großen Namen zu hantieren. Ich hab' echt nix gegen Deleuze und Guattari, aber die zwei haben schon auch 'ne Menge Unsinn verzapft. Bildet Rhizome und so 'n Zeug. Das Bild mit dem Meer ist ja total schief. In ein Meer kann man doch keine "Einkerbungen" machen. Den folgenden Satz verstehe ich überhaupt nicht (mir fallen keine Synonyme mehr für "nicht verstehen" ein): Das Meer steht für den Archetyp [ist also nicht der Archetyp, sondern repräsentiert ihn irgendwie] aller Einkerbungen [ALLER!], die in ihm [wem, dem Meer oder dem Archetyp?] vorgenommen werden [von wem? Riesen? Gott? Kohlberger?]. Den Satz drauf kapiere ich auch nicht: So [wie, "so"?, es gab doch gar keine Prämissen, die jetzt eine Schlussfolgerung erlauben würden] ist es jene [welche? ach so, jene] Verschränkung des Glatten und Gekerbten [ich weiß noch immer nicht, was eigentlich zum Teufel dieses "Gekerbte" sein soll, ist das 'ne Metapher? Wofür? Ist das sowas wie Derridas "Spuren" oder wie?], deren wechselseitige Beziehung und ihre Wandelbarkeit [also der Beziehung, oder des "Glatten und Gekerbten" oder der Verschränkung, die ja auch eine Beziehung ist?], die es ermöglichen [leider, muss man an dieser Stelle sagen], jene Spielfläche zu beschreiben [ach nee, beschrieben wurde bisher noch gar nichts so richtig und von einem "Spiel" war auch noch nie die Rede], in der meine Arbeit angelegt ist [whatever, man].

Das Glatte verfügt immer über ein "Deterritorialisierungsvermögen, das dem Gekerbten überlegen ist" (ebd.). Die Bilder und Töne sind unendlich und flach, sie haben keinen Anfang und kein Ende - nicht in der räumlichen, auch nicht in der zeitlichen Dimension. Sie rauschen immerfort, es findet sich kein Fokus, keine Entitäten, die für die Sinne auffindbar werden. Der Blick schweift umher, sein Versuch, sich irgendwo anzuhaften, schlägt fehl.
Was heißt denn bitte "(ebd.)"? Wo "ebd."? Bei Deleuze/Guattari? Wo da genau? Im entsprechenden Wikipedia-Artikel? Anschließend folgt die beeindruckendste Sequenz an Tautologieen, die je zu lesen ich in meinem Leben das Unglück hatte. "unendlich und flach" = "kein Anfang und kein Ende" = nicht räumlich und zeitlich = kein Fokus, keine Entitäten = kein Anhaftpunkt für den Blick. Aber immerhin schön, dass der Text jetzt mal poetisch zu werden versucht, was ihm ungefähr genauso gut gelingt, wie vorher der beinahe schon tragisch gescheiterte Versuch, wissenschaftlich zu klingen.

Meine Intention ist die vollkommene Vereinnahmung des Blicks, die Herstellung der größtmöglichen[n; Ergänzung von E.H.] Immersion; über die Verkopplung mit Sounds alles umher abzustellen und nur mehr die Arbeit als Wirklichkeit gelten zu lassen.

Endlich rückt er mit seiner künstlerischen "Intention" raus. Andererseits, irgendwie ist das dann doch etwas arg dünne. Jedes abgehalfterte B-Movie will ja die größtmögliche "Immersion" herstellen, jeder Schubert-Liederabend will für den Zeitraum seiner Dauer als alleinige "Wirklichkeit" gelten. War's das schon? Mehr will er nicht? Okay...

Doch es handelt sich nicht um ein beliebiges Spiel mit dem dröhnenden Flimmerkasten. So wie Einkerbungen im Bild sichtbar werden, so wie es eine konstante Verschiebung im Klang gibt, so wird deutlich, dass alles einer Notation folgt, von der aus ein Stück visueller Musik ausgebreitet wird. Diese Notation steht präzise im Programm festgeschrieben, in dem die Gestalt, die zeitlichen Bedingungen, die Verformungen der Bilder und Töne über Algorithmen festgeschrieben stehen. Handelt der Computer dieses komplexe Arrangement deterministisch ab, so fügt sich doch abermals das Rauschen in das Gefüge ein.
Nee, klar, keiner will sich ja nachsagen lassen, das was er da fabriziert, sei "beliebig". Das Problem mit solchen Aussagen ist ja, dass die Wahrheit sozusagen nachher auf der Bühne liegt. Der Kohlberger kann doch nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich seinen ganzen Medientheoriequatsch nachher im Konzert präsent habe und dann immerzu denke: "Ja, richtig, er hat ja geschrieben, dass es nicht beliebig ist, weil die Einkerbungen ja im Meer deterrorisiert werden. Alles klar, tolles Stück."
Was mich nachher im Konzert überhaupt erwartet, wird hier erstmals angedeutet: "Einkerbungen im Bild" und "Verschiebung im Klang". Okay, klingt gar nicht mal so vielversprechend, vor allem angesichts des theoretischen Apparates, den der Kohlberger aufzufahren versucht, aber letztendlich mit kleiner Verve in den Straßengraben setzt. Dennoch läßt er nicht locker, mich gehirnzuwaschen, damit ich bloß nicht unvoreingenommen im Konzert rumhocke: Das Stück ist notiert (ich bin schweeer beeindruckt), diese Notation ist "präzise" (waaas? ist ja der Hammer), und in dieser "Notation" werden "die Gestalt", die "zeitlichen Bedingungen" und die "Verformungen der Bilder und Töne" "festgeschrieben". Aber doch nicht etwa in so was Ähnlichem oder vielleicht sogar genau dem Gleichen wie in einer Partitur? Im letzten Satz dann sehen wir Kohlberger wieder in seiner Eigenschaft als (Welt-?) Meister der Tautologie am und im Werke: das Rauschen "fügt" sich ins "Gefüge".

Denn während sich die Partitur im Entstehen befindet, wird in diese eingegriffen und ständig modifiziert. Auf die Komposition folgt die augenblickliche Interpretation. Die Arbeit entsteht in einem Prozess der ständigen Rückkopplung. Statt von visueller Musik könnte man auch von einer bewegten Malerei sprechen.
Wieder was zu loben: Kohlberger beschreibt sehr schön und in ganz einfachen Worten den ganz normalen Kompositionsprozeß (geschenkt die inzwischen schon als liebenswerte Marotte verbuchte grammatikalische Ungenauigkeit, dass es natürlich heißen muss: "[...] wird in diese eingegriffen und diese ständig modifiziert." language's a bitch, bro). Als kleinen Einwand würde ich nur anführen, dass ich inzwischen gar nicht mehr verstehe, warum ich mir die anderthalb Seiten MedienBlaTheorieBlaBla durchlesen mußte. Der letzte Satz ist dann auch gleich wieder nicht ganz so gelungen, lieber Rainer Kohlberger, denn "visuelle Musik" als synästhetische contradictio in adiecto ist halt nicht dasselbe wie "bewegte Malerei", eine nicht-synästhetische contradictio in adiecto.

Das Rauschen als das Ungenaue und Unvorhersehbare mischt sich dann hinzu, wenn in der Assoziation der einzelnen Objekte zur Bild- und Klanggenerierung Fehler und Zufälle passieren. Ein Prinzip, das fortlaufend in meinen Arbeitsprozess inkorporiert wird, über deren Ausprägung und Fortbestand unmittelbar und intuitiv entschieden wird.
Ach Mensch, Kohlberger, jetzt haste im allerletzten Absatz deine ganzen schönen Vorsätze doch noch in die Tonne getreten. Was ist denn mit "weniger die häufig negativ gelesene Konnotation des Rauschens"? Plötzlich ist das Rauschen doch wieder nur ein "Fehler", eine "Ungenauigkeit", das "Unvorsehbare". Ziemlich viele "Un-"s. Das liest sich nicht gerade wie eine Umwertung aller Werte. Eher wie eine Bestätigung der Vorurteile, die wir mit uns herumzutragen uns alle mitschuldig machen. Schade eigentlich. Schade auch der grammatikalische Fehler im allerletzten Satz, wo es heißen müßte: "[...] über dessen Ausprägung [...]", egal, ob du das Prinzip oder den Arbeitsprozess meinst, was ja auch nicht ganz klar wird.

Musik (oder so was Ähnliches) gab's zu dem ganzen Worthackepeter auch noch dazu, die ist aber in zwei Sätzen abgehandelt:

fluctuations (around one) von Rainer Kohlberger entgeisterte mit einem halbstündigen Drone, dessen Lautstärke ich nur mit den Worten "scheisselaut" umschreiben kann. Dazu gab es grisselige Bilder, deren fluktuierende (ja, ich hab's kapiert!) Einkerbungen eins zu eins das (spärlich genug gesäte) Geschehen in der Musik doppelten (oder andersrum, ich weiß es wirklich nicht).

Donnerstag, 21. Januar 2016

Kommentar 48 - Wie es dazu kam, dass ich einmal den historischen Hintergrund vergaß (Confessions of a not quite as beautiful mind, as I might've hoped for)

Liebes Blog,

neulich habe ich einen schrecklichen Fehler gemacht. Ich habe den historischen Hintergrund unterschlagen. Naja, nicht aktiv unterschlagen, nur vergessen. Was es nicht besser macht. Eher schlimmer. Wie kann man nur so blöd sein und den historischen Hintergrund nicht beachten? Waren denn die ganzen Geschichtsstunden in der Schule und die Lektüre der vielen historischen Schinken völlig umsonst? Leider kann ich Dir keine zufriedenstellende Erklärung dafür liefern, warum ich den historischen Hintergrund vergessen habe, aber die Frage nach dem "Warum" ist ja sowieso keine gute Frage, wie ich neulich von Richard Feynman gelernt habe. Deshalb kann ich Dir nur erzählen, wie es dazu kam, dass ich den historischen Hintergrund vergessen konnte:

Ich hatte mich nach langer Zeit mal wieder dazu entschlossen, Analysen von aktuellen Stücken der sogenannten Neuen Musik zu schreiben. Das ist eine Arbeit, die oft keinen großen Spaß macht, weil ich mir unheimlich viel Schrott anhören muss. Natürlich steht nirgendwo, dass das Schreiben von Analysen Spaß machen muss, deshalb beklage ich mich auch nicht darüber, ich stelle lediglich fest. Viele Stücke, die ich mir anhöre, laufen einfach so durch, tun nicht weh, begeistern nicht, zünden keinen einzigen Gedanken. Andere Stücke mag ich vielleicht gerne hören, trotzdem erzeugen auch sie nicht das Bedürfnis in mir, etwas darüber zu schreiben. Und dann gibt es da noch die Stücke, die mich nerven. Das sind die ergiebigsten. Weil sie mich dazu bringen, mir selbst erklären zu müssen, warum sie mich nerven. Ich weiß auch nicht, warum ich mir ausgerechnet das Nichtgefallen nicht einfach so gestatte, wahrscheinlich liegt da irgendein auf Erziehung und / oder Genetik beruhender persönlicher Defekt vor. Selbst das Bedürfnis, Analysen zu schreiben, wird ja bei mir davon ausgelöst, dass mich andere Analysen nerven.

In diesem Fall, in dem ich dann am Ende den historischen Hintergrund vergessen habe, war es so, dass mir nach fünfzehn oder zwanzig durchgehörten Stücken ein Gedanke kam, der sich in paradigmatisch vereinfachter Form so liest: "Dieses allgegenwärtige Bedürfnis, Musiker szenische Aktionen ausführen zu lassen, ist doch eigentlich Quatsch." Dieser Gedanke war für mich umso beunruhigender, als dass ich selbst in den letzten Jahren diesem Bedürfnis nachgegeben und mich also quasi mitschuldig an dieser Modeerscheinung gemacht habe. Natürlich bilde ich mir ein, dass ich das in meinen Stücken viel besser gemacht habe als die anderen in ihren Stücken. Ist doch klar, sonst könnte ich ja gleich aufhören. Andererseits hatte ich mir auch nie so richtig darüber Rechenschaft abgelegt, warum das so sein sollte. Also warum denn jetzt die Instrumentalisten zum Beispiel irgendwas mit ihrem Körper machen sollen, für das er gar nicht trainiert ist. (sorry, da sind mir dann doch wieder "Warum"-Fragen reingerutscht). Irgendwie ist der Gedanke, die Inszenierung "Konzert" auszubauen, für mich jedenfalls zu naheliegend gewesen, um ihn als hinterfragungswürdig eingestuft zu haben ich mich befähigt gesehen hätte. Und genau an dieser Stelle habe ich dann auch  den historischen Hintergrund des ganzen Komplexes vergessen.

Ich habe einfach nicht daran gedacht, dass die aktuelle Entwicklung natürlich Vorläufer hat, die letztendlich bis in die Antike reichen, jedenfalls wenn man den Ausführungen von Thrasybulos Georgiades (aah, dieser Name!) in "Musik und Sprache" folgt:
Aus der ursprünglichen Einheit [von Musik und Sprache im Altgriechischen] ist eine Zweiheit geworden; aus der μoυσιχέ sind Dichtung und Musik entstanden. Erst jetzt, erst innerhalb der abendländischen Geschichte ist es möglich geworden, Musik und Sprache streng voneinander zu trennen. Von jetzt ab besteht aber auch, gleichsam als Erinnerung an den gemeinsamen historischen Ursprung, die Sehnsucht der einen nach der anderen, die Neigung, sich gegenseitig zu ergänzen.
 Thrasybulos Georgiades, Musik und Sprache, S. 7
Was Georgiades hier in leicht anthropomorpher Verklärung den beiden Medien Musik und Sprache zuschreibt ("Sehnsucht"; dass er damit im Handstreich die sogenannte absolute Musik mehr oder weniger zum Mangelwesen erklärt, wäre eine lange, ausführliche, gesonderte Darstellung wert), läßt sich leicht auf die Trinität von Szene, Text und Musik erweitern, siehe die vermeintliche Restituierung antiker Vorbilder in der Renaissance-Oper oder Wagners Zeug. Immer schon und immer mal wieder ist dieses Bedürfnis dagewesen, alles wieder zusammenzufassen, was man als ursprünglich zusammengehörig und "künstlich"(?) auseinandergerissen begriffen hat.

Tja, das hätte ich natürlich bedenken müssen. Ich hätte selbstverständlich all die Versuche in der Musikgeschichte präsent haben müssen, zusammenzuführen, was (vielleicht) zusammengehört. Ich hätte klaro die aktuelle Entwicklung in ihrem historischen Kontext verorten müssen, nämlich jenen, nach einer ziemlich langen Phase, in der es vorwiegend um absolut-musikalische Dinge ging (Zwölfton, Serialismus, Spektralismus, Neue Einfachheit, Minimalismus, Komplexismus usw.), endlich wieder den vernachlässigten, inzwischen als außermusikalisch, früher aber als innermusikalisch verstanden zu wissen wollen seienden Ausdrucksformen zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn nicht gar zum Eigentlichen zu erklären. Ich hätte logo auch die ganzen gelungenen Beispiele der Musikgeschichte im Hinterkopf haben müssen, und seien es nur diejenigen aus dem letzten Jahrhundert, als da wären zum Beispiel Ekklesiastische Aktion von Zimmermann aus der eher seriösen Ecke und zum Beispiel Pas de Cinq von Kagel aus der eher heiter-absurden Fraktion. Ich hätte gottverflucht nochmal erklären müssen, dass ich das alles im Prinzip gar nicht verkehrt finde, sondern im Gegenteil absolut richtig, und nur die Art und Weise, wie im Augenblick häufig damit hantiert wird, grauenhaft.

Ja, liebes Blog, derart sind meine zahlreichen Verfehlungen. Kaum tröstlich ist daran die Tatsache, dass ich mir selbst damit am meisten geschadet habe. Selbstverständlich werde ich diese Versäumnisse aufzuarbeiten haben, gleich nachdem ich zu Mittag gegessen habe (in Butter angebratene Salzkartoffeln vom Vortag).

Bleibt mir nur noch, mich zu bedanken, bei der Freien und Hansestadt Hamburg für viele weitere Inspirationen, beim Badischen Intellekt für korrektives Wirken und nicht zuletzt bei Google für die Verfügbarmachung von allem.
Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen,
und das Leben den betrübten Herzen [...]?
Well, Feynman, how's that for a why-question?

Dein

Erich S.

Montag, 18. Januar 2016

Kommentar 47 - Schlechtes Schauspiel ist doch auch keine Lösung / Vom Stühlerücken und Technotanzen - Teil 1

Ja, ich bin schwach. Keine Frage. Ich bin - und das sage ich an dieser Stelle in aller Offenheit - auch nur ein Mensch und unterliege wie jeder andere auch gewissen Eitelkeiten und Ängsten. Deshalb dürfte es kaum verwundern, dass ich mich aus reiner Angst, ästhetisch abgehängt zu werden, doch wieder mit dieser ganzen elendigen "Kunst""musik" und solchem Kram beschäftige, mit dem ich schon längst abgeschlossen zu haben glaubte. Widerwillig, immerhin, ich gebe es zu, aber so eine Angst, die kriegt man nicht so einfach weg, da helfen auch White Russians und ItaloPop nicht wirklich (mehr zu diesem Thema demnächst unter "to whom it may concern 2"...). Zumal diese Angst auf beinahe widerliche Weise mit der Eitelkeit gepaart ist, dass es ja doch niemand anders vernünftig macht, wenn ich's nicht mache. Also mach ich's eben. Bitteschön.

Allerdings, und damit ist es der Vorreden dann auch genug, wird es diesmal sehr wenig um Musik gehen, was wiederum nicht meine Schuld ist; es wird einfach kaum noch Musik komponiert, die der Rede wert wäre, sondern entweder irgendein Metazeug mit Videoelektronikmaxmspselbstreferentialitätskram oder eklektisches Neoromantikohneromantikmitavantgardebezügenundlachenmannallusionengewürge. Und obwohl ich weiß, dass ich natürlich nur einen sehr geringen Bruchteil der aktuellen "("("Kunst""musik")""produktion")" überhaupt kenne oder zur Kenntnis nehme, lasse ich diese Ungeheuerlichkeit von einer Aussage so stehen, woran dann wieder die eben erwähnte Eitelkeit Schuld trägt und auch die gar nicht so insgeheime Hoffnung, dass sich bestimmt jemand findet, der sich darüber tierisch aufregt.

Jetzt aber, Schluss mit den Erklärungen und Vorabentschuldigungen, let's get to it.

Als Komponist (nein, das ist jetzt keine Vorrede mehr, das gehört zum Hauptstück) ist man ja heutzutage in einer beklagenswerten Situation. "Einfach" nur Komponist sein reicht nicht, jedenfalls dann, wenn man in irgendeinem vernünftigen Sinn dieses Begriffes "Neue Musik" machen will. Es ist halt nicht genug, ein paar Musiker auf eine Bühne zu setzen und sie irgendwelche Noten von irgendwelchen Blättern abspielen zu lassen. Ich meine, selbst ein Jörg Widmann, der nun vollkommen unverdächtig ist, in irgendeiner Weise dem Neuen Konzeptualismus oder sonst irgendeiner anderen dieser neuen Prenzlberghipsterbewegungen nahezustehen (jedenfalls nicht, dass ich davon wüßte...), baut inzwischen szenische Elemente in seine Instrumentalkonzerte ein. Jedenfalls, und da nehme ich mich keineswegs aus, im Gegenteil, ich nehme mich ausdrücklich mit ein, scheint es so eine Art Gefühl zu geben, Musik an sich reiche nicht mehr aus. Also wird auf den Konzertbühnen gesprochen, geschauspielert, videogedreht, moderiert und fremdreferenziert, was das Zeug hält oder auch nicht hält. Das Problem daran ist, dass Instrumentalisten keine Sprecher oder Schauspieler und Komponisten keine Regisseure, Moderatoren oder Filmemacher sind. Mit anderen Worten: Es wird herumdilettiert, bis der Arzt kommt. Nur, dass kein Arzt kommt. Jedenfalls bis jetzt nicht.

Dass man mich nicht missverstähe: Ich hab gar nichts gegen Dilettanten (ausser, sie werden straffällig, dann aber schnell weg mit ihnen), ich finde auch überhaupt nicht, dass immer alles hochprofessionell sein muss. Diese niemals fehlgreifenden Interpretenmaschinen, die die fünfzigtausendste Einspielung vom Tschaikowski-Klavierkonzert raushauen, die sind ja unerträglich. Aber, ABER: Wenn schon dilettiert werden muss, dann bitteschön richtig. Nicht dilettantisch dilettieren, sondern professionell dilettieren, sozusagen.

Na gut, ich kann verstehen, dass diese Forderung, oder sagen wir: Anregung absurd wirken könnte, wenn sie nicht sogar in dieser Form möglicherweise ganz und gar unverständlich sein sollte. Deshalb, wie es gute Sitte ist in meinem sogenannten Blog: konkrete Darstellung an einem konkreten Beispiel. Ach was, lass uns gleich zwei konkrete Beispiele nehmen. Sind beide super, um verschiedene Aspekte an meinem Punkt zu demonstrieren. Ausserdem kriegt so jeder sein Fett weg und keiner kann sich bevorzugt fühlen.

1 Neele Hülcker: "kramen" - Installation für 4 Performer

Ja, hier gibt's jetzt richtige Überschriften, ich bin begeistert. Neele Hülcker ist eine dieser jungen, feschen Komponistinnen (darf man das sagen? wahrscheinlich nicht, keine Ahnung, ich mein es auch gar nicht gendermäßig, sondern rein kompositorisch), die zur Zeit wohl irgendwie "Furore" machen, oder so. Zumindest hatte ich den Eindruck. Und mein Eindruck beruht ausschließlich auf einer eher kursorischen Youtube- bzw. Google-Suche (was ja irgendwie doch dasselbe ist, sozusagen fast ein Hendiadyoin, wenn man sagt: "Youtube und Google"). Neele Hülcker ist ganze zehn Jahre jünger als ich, also gerade mal Ende zwanzig, und ich glaube, ich tue ihr nicht unrecht, wenn ich sage, dass sie einer der vielgepriesenen und -beschworenen und herbeigebeteten digital natives ist, im Übrigen auch einer dieser häßlichen Begriffe aus der idiotischen und staubtrockenen Nerdkultur, der zudem auch noch leicht rassistische Anklänge hat, denn bis jetzt wurden ja noch alle natives ausgerottet, versklavt und / oder unterdrückt. Ich bin jedenfalls wohl keiner mehr bzw. noch keiner, ich hab Mühe, mich an ein Telefon mit Drucktasten zu gewöhnen und nicht beim Abnehmen gleich "Vermittlung?" in den Hörer zu rufen. Aber im Grunde ist das auch völlig belanglos, denn ich will ja nicht Neele Hülcker besprechen, sondern ihr Stück. Irgendwie hänge ich dieser altmodischen Vorstellung an, dass ein Stück für sich selbst stehen und nicht von der Biographie seines Autors abhängig sein sollte. Deshalb, dieser Beisatz sei mir dann doch noch erlaubt, ehe es wirklich und tatsächlich losgeht, deshalb also nervt mich zum Beispiel der ganze Helmut - Oehring - Komplex tendenziell etwas, weil ich immer denke: Wie würde ich die Musik finden, wenn ich seine Biographie nicht ständig im Hinterkopf hätte? Also, Schluß jetzt damit, ich hab mich mit Neele Hülckers Biographie nicht beschäftigt, interessiert mich auch nicht. Ich glaube, das ist in ihrem Sinne, auf ihrer Webseite steht ja auch nur, wann sie geboren wurde und wo sie jetzt lebt. Und selbst auf diese Infos hätte ich noch verzichten können, wer lebt denn heutzutage nicht in Berlin? Wahrscheinlich nur noch ich.

"Kramen" also. Cooler Titel, wie immer. Ohne coolen Titel läuft gar nix. Coole Titel haben die "...fragment...wie ich einmal von mir selbst ergriffen war..."-pseudopoetischen Hochromantiktitel des späten 20. Jahrhunderts abgelöst. Ist ja auch richtig so, jede Zeit braucht ihre Titelmoden. Und es wäre keine Mode, wenn nicht jeder mitmachen würde. Mach ich ja auch.

Bei Neele Hülcker wird grundsätzlich viel gekramt, scheint so ihr Topos zu sein. Leute setzen sich an einen Tisch und hantieren mit irgendwelchen sogenannten Alltagsgegenständen herum, ach nee, das heißt ja jetzt: found items, so z.B. auch bei "Mitarbeit", "Live Electronic Music", "Bauvorhaben", "Sidekick" usw. usf. Auch bei "kramen" wird also gekramt. Denke ich zumindest. Und wird es auch. Es ist auch kein Musikstück, sondern eine Installation. Denkt Neele Hülcker zumindest. Ist es aber nicht. Es ist eine astreine Theaterszene, ich denke da in Richtung Ionescu oder auch Beckett, irgendwie absurd halt. Dargeboten von Dilettanten. Eben nicht musikalischen, sondern schauspielernden. Das ist teilweise schwer erträglich. Weil es nicht, wie wohl angedacht, irgendwie merkwürdig oder absurd, sondern einfach nur unbeholfen und hölzern wirkt. Einen Gefallen hat Neele Hülcker dem Stück damit jedenfalls nicht getan. Ich mag gar nicht das ganze Stück auseinandernehmen, vielleicht ein anderes Mal (naja, wohl eher nicht). Für diesmal will ich die Aufmerksamkeit des allerwertesten Lesers nur auf einige ausgesuchte Momente lenken.

Vier Leute (Streichquartett?) sitzen an vier Cafétischen, adrett bestückt mit Kunst(?)blume in Vase, Zuckerstreuer etc. Im Hintergrund läuft irgendein Soundtrack, dessen Aufbau entlang, Zweck für und Verbindung mit der Szene ich nicht kapiert hab. Klingt nach geschredderten Neue-Musik-Fragmenten, irgendwelchen aufgenommenen Alltagsgeräuschen, Entschuldigung: field recordings, und was weiß ich noch. Vielleicht ist auch die Qualität im Video nicht ausreichend, um das alles zu beurteilen. Also lass ich es bei der Feststellung, dass das alles für mich ziemlich beliebig klingt und sofort in mein Unbewußtsein bzw. in den großen Bereich der Nichtaufmerksamkeit hineinverläppert.

Zu Anfang werden erstmal die Gesten vorgestellt (Exposition!), die im Laufe des Stücks vorkommen. Als da wären: Trinken, Umdrehen, Haare aus der Stirn streichen, Stühle rücken (Ionescu!). Alles mit erzbitterem Ernst vorgetragen. Verstehe ich schonmal nicht. Warum dieser Ernst? So hockt ja keiner im Café. Nicht, dass ich einer dieser idiotischen Realismusverfechter wäre, die bei irgendwelchen Fernsehkrimis rumjammern, dass sie die Polizeiarbeit nicht realistisch darstellten. Nein, darum geht's nicht. Es ist vielmehr so, dass sich bei mir sofort der Gedanke festsetzt: Die können gar nix anderes. Wenn man keine schauspielerischen Möglichkeiten hat, dann macht man eben ein ernstes Gesicht und verzieht es möglichst nicht. Derart auf die Limitierungen der Ausführenden aufmerksam gemacht, kann ich nicht anders, als nur noch darauf zu achten, was selbstredend dazu führt, dass ich nur noch Unzulänglichkeiten finde. Beim HaareausderStirnStreichen zum Beispiel (0'22'' z.B. und später in Häufung ab 9'22''): Die Bewegungen sind zu langsam und betont, um als "natürlich" durchzugehen. Und nicht, wie soll ich sagen, mit ausreichend Haltung ausgeführt, dass man uneingeschränkt sagen könnte: "Das ist eine stilisierte Bewegung." Also hängen sie so in einem gestischen Niemandsland herum und wirken letztendlich, wie schon gesagt, unbeholfen. Ähnliches gilt für's Stühlerücken (0'26'' und im weiteren Verlauf z.B. bei 3'39'' oder 9'30''): So rückt man seinen Stuhl nicht zurecht. Man schaut nicht runter, wohin man ihn rückt. Man rückt ihn beinahe nie seitwärts, außer man macht Platz an einem bereits engbesetzten Tisch, was hier aber nicht der Fall ist. Andererseits bietet diese Aktion auch kein Stilisierungspotential. Das Rücken ist nicht irgendwie angemerkwürdigt, so dass man denken könnte: "Aha, seltsam, dieses Rücken, es bekommt jetzt eine poetische Kraft, die ich ihm nie zugetraut hätte." Nein, es wird mit diesem heiligen Ernst, der ja auch keine Haltung, sondern bloß ein Notbehelf ist, gemacht und wirkt irgendwie schlampig, ohne absichtsvoll schlampig zu wirken, was ja auch eine Qualität wäre, sondern ungekonnt schlampig, was garantiert keine Qualität, sondern bloß ärgerlich ist. Auch nicht besser: Wasser aus'm Glas trinken (gleich zu Beginn oder auch später bei 3'25''). Wer zum Teufel fixiert sein Glas mit dem Blick auf diese Weise, bevor er es in die Hand nimmt? Warum wird das Trinken beim ersten Mal so gewollt bedeutungsvoll inszeniert (Bedächtigkeit der Bewegungen)? Noch schlimmer und also am schlimmsten allerdings finde ich die Kopf-auf-Hand-stütz-und-in-die-Ferne-schau-Geste (3'31''). Da kriecht bei mir dann schon so eine leichte Fremdschamanwandlung die Speiseröhre hoch. Laientheater in seiner ganzen Pracht.

Ach, aber da ist ja noch das "Kramen". Bis jetzt hatten die Gesten irgendwie mit dem Thema "Café" zu tun. Das Kramen fällt da raus, jedenfalls ist es nicht unbedingt eine übliche Tätigkeit an einem Cafétisch, den gesamten Inhalt seiner Tasche auf den Tisch zu räumen. Später wird das Zeug noch auf dem Tisch umarrangiert. Zwischendurch wird Papier geknüllt, glattgestrichen, wieder geknüllt, wieder glattgestrichen. Und zu guter Letzt wird alles wieder in die Tasche gepackt (leider bricht das Video mitten im Einräumprozess ab). Es ist interessant zu beobachten, wie falsch man so eine einfache Sache wie etwas aus einer Tasche zu holen und auf den Tisch zu legen machen kann, wenn man es spielt. Denn es wird gespielt. Es ist keine Tätigkeit, die man unbeobachtet und für einen konkreten Zweck in einem tatsächlichen Café macht. Man fühlt sich beobachtet (bei 7'48'' schaut der Möller ja sogar in die Kamera), das Rausräumen hat keinen Zweck, außer, dass es wohl in irgendeiner Form verabredet ist und prompt geht einem der Bewegungsablauf gar nicht mehr so natürlich vom Körper. Es sind Kleinigkeiten wie sekundenbruchteillanges Zögern beim Abstellen von Gegenständen, die man im natürlichen (ich schreib' immer "natürlichen", als hätte der Mensch so eine Art wildes Habitat, aus dem man ihn rausgerissen und in eine absolut künstliche Umgebung hineinverfrachtet hätte, was irgendwie ja auch ungefähr stimmt, mit dem Unterschied, dass man nicht aus der Wildnis, sondern aus einem sozusagen alltäglichen Kulturumfeld in ein nichtalltägliches Kulturumfeld gesetzt wird, womöglich noch aus freiem Willen), jetzt hab ich den Satzanfang vergessen, ach so: Kleinigkeiten wie sekundbruchteillanges Zögern beim Abstellen von Gegenständen, die man im natürlichen (siehe Ausführung in der vorigen Klammer) Umfeld nicht erwarten würde. Da wäre es ja so: Bei dieser Menge an Gegenständen, die ich aus meiner Tasche aus irgendeinem Grund (ich suche etwas?) auf den Tisch befördern wollte, würde ich wohl früher oder später einfach die Tasche auskippen. Niemals würde ich so einen Haufen disparate Gegenstände sorgfältig nebeneinander auf dem Tisch aufbauen, jedenfalls will mir kein Grund dafür einfallen. Und das ist auch der Grund, warum die "Performer" immer wieder ganz kurz, kaum merklich zögern. Es muss ja ein Platz für den nächsten Gegenstand gesucht werden. Na und, wo ist jetzt das Problem? Das Problem ist ganz einfach folgendes: Die ganze Aktion soll irgendwie natürlich (siehe Ausführungen in der Klammer oben) wirken, ist aber gleichzeitig von der Anlage her schon vollkommen unnatürlich (siehe Ausführungen in der obigen Klammer). Diese Differenz kann man natürlich (nicht in Bezug zu den Ausführungen in der obigen Klammer) aufmachen, aber man muss sie bewußt aufmachen. Die "Performer" im Video dagegen versuchen, die Aktion natürlich aussehen zu lassen, was gar nicht geht, weil es gar keine natürliche Aktion ist. Bzw. könnte man immerhin versuchen, es wie eine natürliche Aktion aussehen zu lassen, müßte dafür aber gut schauspielern können.

Jetzt könnte man mir ja vorhalten, dass ich mit all dem gar nichts über das Stück und beinahe alles über die Leistungen der Interpreten gesagt hätte. Könnte man meinen, stimmt aber nicht. Denn das Nichtfunktionieren des Stückes, jedenfalls sehe ich das so, beruht gar nicht so sehr auf den Unzulänglichkeiten der Ausführung, sondern beides hauptsächlich auf einer, nein, sogar mehreren Fehleinschätzungen der Komponistin. Diese betreffen die a) formale Anlage des Stückes, b) die sozusagen Instrumentation des Stückes und c) den Schwierigkeitsgrad der Ausführung. Wie immer im richtigen Leben hängen alle drei Punkte eng verzwirbelt ineinander und eines bedingt das andere. Und damit muss ich natürlich doch das Stück auseinandernehmen.

a) Da ja, wie schon ausgeführt, die "Musik", also das Zuspiel, gar keine Rolle spielt, ist man als Zuschauer ausschließlich auf die Bewegungen der Interpreten verwiesen. Mit anderen Worten: Man interpretiert das Geschehen auf der Bühne als Szene. Das geht nicht anders. Ich weiß nicht, warum Neele Hülcker das Ganze "Installation" nennt, vielleicht, weil es in einem tatsächlichen Café aufgeführt wird, vielleicht, weil es stundenlang im Loop aufgeführt wurde (was ich auch nicht weiß, weil es dazu keine Angaben gibt), vielleicht aber auch einfach nur, weil es cooler klingt als "Szene für 4 Schauspieler". Als Installation allerdings ist es mir nicht statisch genug bzw. auch einfach zu kurz (selbst unter der Voraussetzung, dass es mehrmals hintereinander aufgeführt wurde), während es als Szene zu einförmig und -tönig bzw. zu lang ist. Das ganze Ding, wie auch immer man es jetzt nennen will, hat im Grunde eine ziemlich klassische musikalische Form, mit Exposition, Durchführung und Reprise. Beinahe möchte ich hier als Vorlage die Große Fuge anführen (Themenbruchstücke zu Beginn, fugales "Kramen" in den Themen, einpacken), wenn der Vergleich nicht gar zu viel Gefälle hätte. Denn wirklich "gearbeitet" wird mit den Themen in "kramen" nicht. Sie werden halt immer neu kombiniert, bleiben ansonsten aber weitgehend unverändert. Ein Haarewischen sieht in Minute 9 genauso aus wie in Minute 1. Da tut sich nix. Nach ca. Minute 2 kommt dann gar nichts Neues mehr, wenn man mal vom freeze ab 7'55'' ca. absieht (2/3-Regel!). Das führt dazu, dass zwar eine Entwicklungsform abgefahren wird, die aber ohne wirkliche Entwicklung auskommen muss. Also eiert alles so leicht unmotiviert vor sich hin. Da bringt es auch nichts, dass das Kramen im Verlauf des Stückes hektischer wird. Zumal die Hektik nicht gerade die schauspielerische Leistung befördert. Oder andersrum die schauspielerische Leistung nicht gerade den Eindruck befördert, die Hektik sei irgendwie notwendig oder am Platze.

b) Die Instrumentation des Stückes mit vier "Performern" ist auch so ein kompositorisch nicht gelöstes Problem. Oben meinte ich ja noch Streichquartett, aber es ist dann wohl doch eher so etwas wie ein Stück für vier Geigen. Alle vier bieten ungefähr die gleiche Klangfarbe an. Also: dieselben Gesten, in derselben Intensität, mit demselben Gesichtsausdruck. Keiner muckt mal auf, steht auf (Toilettengang!), kriecht unter den Tisch, schreit rum oder macht sonstetwas, das man eine abweichende Klangfarbe nennen könnte. Das ist zu einem Teil natürlich auch den formalen Problemen geschuldet, es gibt keinen wirklichen Kontrapunkt oder irgendein "zweites Thema". Das Kramen ist jedenfalls keines, dafür ist seine Andersartigkeit doch etwas zu, sagen wir mal, subtil. Damit gibt es auch keine Notwendigkeit, ein anderes Motiv mit einer anderen Klangfarbe herauszuinstrumentieren. Dann hätte man ja aber wenigstens die immergleichen Elemente uminstrumentieren können. Dazu aber hätte man fähigere Interpreten einplanen müssen. Da beißt die Katze keinen Schwanz ab.

c) Das Stück bietet einen zu hohen Schwierigkeitsgrad für Laienschauspieler. Mit Requisiten  hantieren, ins Leere schauen, genau abgezirkelte Bewegungen immer wieder ausführen und alle diese Dinge, das ist schwierig. Das sieht ja oft genug auf der Theaterbühne schon doof aus, nach sechs Wochen Proben, mit Leuten, die das alles jahrelang studiert haben. Woher die Gewissheit oder Idee kommt, dass das mit Nichtschauspielern irgendwie einfacher oder besser oder irgendwie 21.-Jahrhundert-mäßiger sein soll, weiß ich nicht. Und wenn ich hier darauf beharre, dass Schauspieler vielleicht die bessere Lösung gewesen wären, so geschieht dies immer mit dem unausgesprochenen Attribut "gute". So wie man für die Aufführung irgendeines stinknormalen Musikstückes ja auch viel lieber "gute" Instrumentalisten hat als mittelmäßige oder gar unfähige. "kramen" bietet keinerlei Anhaltspunkte für die implizit aufgestellte Behauptung, es müsse unbedingt von ungeübten Laiendarstellern aufgeführt werden.

Alles in allem läuft es darauf hinaus, dass das eigene Konzept nicht konsequent durch- und zuendegedacht wurde. Wenn man eine Szene in einer musikalischen Form organisieren will, warum sind dann grundlegende musikalische Techniken wie Transposition, Augmentation / Diminution, Klangfarbenänderung, Modulation etc. nicht berücksichtigt? Das wäre doch mal ein interessantes Konzept gewesen, gestische bzw. szenische Lösungen für diese Dinge zu finden. Aber klar, mit Instrumentalisten, die Schauspieler darstellen, die irgendwas darstellen, kann man keine großen Sprünge machen. Mein tieferliegender Verdacht ist aber, wie auch bei vielen anderen Stücken, dass es gar kein kompositorisches Problem zu lösen gab und nur eine Idee durchgehauen wurde. Das ist mir dann aber für "Kunst""musik" im allerweitesten Sinne doch irgendwie zu wenig. Am schlimmsten aber fand ich, dass das Ganze noch nicht mal lustig war.

2 Ole Hübner: "fuck bass fuck bass" für Ensemble mit Solo-Sopranblockflöte, live-Elektronik, Audio- und Videozuspiel und Stroboskop

Wunderbar, diese Zwischenüberschriften. Ich merke allerdings gerade, dass der Text doch arg lang wird, deshalb gibt's dieses Stück und den mit Dressing vermengten Gesamtsalat in Form einer allgemeineren Abschlusserklärung nächste Woche in einem zweiten Teil.