Donnerstag, 14. November 2013

Kommentar 5.1 - Was ich neulich mal dachte / Fetzen einer Poetik 1

Neulich einmal dachte ich, dass es doch möglich sein müßte, ein Stück zu komponieren, das sich nicht entwickelt. Also ein Stück, das zwar fortschreitet, in dem etwas geschieht, in dem das Material selbst aber nicht entwickelt wird. Die Entwicklung der entwickelnden Variation ist ja inzwischen so weit gelangt, dass sogar das Material selbst am Anfang des Stückes erstmal entwickelt wird, was natürlich bloß eine Pseudo-Entwicklung ist, weil der Komponist (hoffentlich) schon am Anfang des Stückes weiß, wie es später mal weitergehen soll. Ich kann sie nicht mehr hören, die ganzen tastenden und suchenden Gesten in Stückanfängen, die ja ein Tasten und Suchen bloß vorschützen und deshalb verlogen sind.
Warum nicht mal wieder etwas setzen. Etwas behaupten. Einfach so. Ohne Rückversicherung. Und im weiteren Verlauf des Stückes dann über diese Behauptung reden. Einen Dialog schaffen. Zwischen Rede und Gegenrede. Einwürfen. Abschweifungen. Explikationen. Eine Behauptung kann man nicht entwickeln. Eine Behauptung kann man nur umrunden. Man kann Gründe dafür und Gründe dagegen suchen und vielleicht finden. Man kann die Behauptung verneinen oder bejahen. Man kann sie aus diesem und jenem Blickwinkel betrachten. Aber man kann sie nicht variieren, verändern, anpassen. Ansonsten würde sich im Nachhinein herausstellen, dass es gar keine Behauptung war, sondern bloß eine strategische Aussage. Die Behauptung muss intakt bleiben, sie darf als semantische Einheit nicht in Frage gestellt werden. Ihre Unversehrtheit muss gewährleistet bleiben. No matter what. Die Behauptung darf blöd-, un- oder scharfsinnig sein. Nur eins darf sie nicht sein: die Behauptung einer Behauptung. Sie darf in sich selbst nicht ironisch gebrochen sein.
Ein Stück also konkret als Abfolge von semantisch unversehrbaren Einheiten (=Formteilen) begreifen. Die Großform aus kleinen formalen Einheiten, die in sich selbst stabil sind, zusammenzimmern. Man könnte an einen imaginierten Sampler denken, der die einzelnen formalen Morpheme abfeuert. Die Morpheme erzeugen den Rhythmus des Stückes. Seine Dynamik. Das Material innerhalb der Morpheme kann alles mögliche sein, Selbstkomponiertes, zitierte Musik, Gesten, Szenisches usw. Die Einheit des Stückes wird gewährleistet durch das Prinzip des Dialogs: Die Morpheme "reden" miteinander. Deshalb ist ihr Inhalt auch immer aufeinander bezogen, selbst da, wo er offensichtlich oder vermeintlich bezugslos daherkommt. Im Grunde ist das dann keine "reine" Musik mehr, sondern eine Performance.

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