Montag, 18. Januar 2016

Kommentar 47 - Schlechtes Schauspiel ist doch auch keine Lösung / Vom Stühlerücken und Technotanzen - Teil 1

Ja, ich bin schwach. Keine Frage. Ich bin - und das sage ich an dieser Stelle in aller Offenheit - auch nur ein Mensch und unterliege wie jeder andere auch gewissen Eitelkeiten und Ängsten. Deshalb dürfte es kaum verwundern, dass ich mich aus reiner Angst, ästhetisch abgehängt zu werden, doch wieder mit dieser ganzen elendigen "Kunst""musik" und solchem Kram beschäftige, mit dem ich schon längst abgeschlossen zu haben glaubte. Widerwillig, immerhin, ich gebe es zu, aber so eine Angst, die kriegt man nicht so einfach weg, da helfen auch White Russians und ItaloPop nicht wirklich (mehr zu diesem Thema demnächst unter "to whom it may concern 2"...). Zumal diese Angst auf beinahe widerliche Weise mit der Eitelkeit gepaart ist, dass es ja doch niemand anders vernünftig macht, wenn ich's nicht mache. Also mach ich's eben. Bitteschön.

Allerdings, und damit ist es der Vorreden dann auch genug, wird es diesmal sehr wenig um Musik gehen, was wiederum nicht meine Schuld ist; es wird einfach kaum noch Musik komponiert, die der Rede wert wäre, sondern entweder irgendein Metazeug mit Videoelektronikmaxmspselbstreferentialitätskram oder eklektisches Neoromantikohneromantikmitavantgardebezügenundlachenmannallusionengewürge. Und obwohl ich weiß, dass ich natürlich nur einen sehr geringen Bruchteil der aktuellen "("("Kunst""musik")""produktion")" überhaupt kenne oder zur Kenntnis nehme, lasse ich diese Ungeheuerlichkeit von einer Aussage so stehen, woran dann wieder die eben erwähnte Eitelkeit Schuld trägt und auch die gar nicht so insgeheime Hoffnung, dass sich bestimmt jemand findet, der sich darüber tierisch aufregt.

Jetzt aber, Schluss mit den Erklärungen und Vorabentschuldigungen, let's get to it.

Als Komponist (nein, das ist jetzt keine Vorrede mehr, das gehört zum Hauptstück) ist man ja heutzutage in einer beklagenswerten Situation. "Einfach" nur Komponist sein reicht nicht, jedenfalls dann, wenn man in irgendeinem vernünftigen Sinn dieses Begriffes "Neue Musik" machen will. Es ist halt nicht genug, ein paar Musiker auf eine Bühne zu setzen und sie irgendwelche Noten von irgendwelchen Blättern abspielen zu lassen. Ich meine, selbst ein Jörg Widmann, der nun vollkommen unverdächtig ist, in irgendeiner Weise dem Neuen Konzeptualismus oder sonst irgendeiner anderen dieser neuen Prenzlberghipsterbewegungen nahezustehen (jedenfalls nicht, dass ich davon wüßte...), baut inzwischen szenische Elemente in seine Instrumentalkonzerte ein. Jedenfalls, und da nehme ich mich keineswegs aus, im Gegenteil, ich nehme mich ausdrücklich mit ein, scheint es so eine Art Gefühl zu geben, Musik an sich reiche nicht mehr aus. Also wird auf den Konzertbühnen gesprochen, geschauspielert, videogedreht, moderiert und fremdreferenziert, was das Zeug hält oder auch nicht hält. Das Problem daran ist, dass Instrumentalisten keine Sprecher oder Schauspieler und Komponisten keine Regisseure, Moderatoren oder Filmemacher sind. Mit anderen Worten: Es wird herumdilettiert, bis der Arzt kommt. Nur, dass kein Arzt kommt. Jedenfalls bis jetzt nicht.

Dass man mich nicht missverstähe: Ich hab gar nichts gegen Dilettanten (ausser, sie werden straffällig, dann aber schnell weg mit ihnen), ich finde auch überhaupt nicht, dass immer alles hochprofessionell sein muss. Diese niemals fehlgreifenden Interpretenmaschinen, die die fünfzigtausendste Einspielung vom Tschaikowski-Klavierkonzert raushauen, die sind ja unerträglich. Aber, ABER: Wenn schon dilettiert werden muss, dann bitteschön richtig. Nicht dilettantisch dilettieren, sondern professionell dilettieren, sozusagen.

Na gut, ich kann verstehen, dass diese Forderung, oder sagen wir: Anregung absurd wirken könnte, wenn sie nicht sogar in dieser Form möglicherweise ganz und gar unverständlich sein sollte. Deshalb, wie es gute Sitte ist in meinem sogenannten Blog: konkrete Darstellung an einem konkreten Beispiel. Ach was, lass uns gleich zwei konkrete Beispiele nehmen. Sind beide super, um verschiedene Aspekte an meinem Punkt zu demonstrieren. Ausserdem kriegt so jeder sein Fett weg und keiner kann sich bevorzugt fühlen.

1 Neele Hülcker: "kramen" - Installation für 4 Performer

Ja, hier gibt's jetzt richtige Überschriften, ich bin begeistert. Neele Hülcker ist eine dieser jungen, feschen Komponistinnen (darf man das sagen? wahrscheinlich nicht, keine Ahnung, ich mein es auch gar nicht gendermäßig, sondern rein kompositorisch), die zur Zeit wohl irgendwie "Furore" machen, oder so. Zumindest hatte ich den Eindruck. Und mein Eindruck beruht ausschließlich auf einer eher kursorischen Youtube- bzw. Google-Suche (was ja irgendwie doch dasselbe ist, sozusagen fast ein Hendiadyoin, wenn man sagt: "Youtube und Google"). Neele Hülcker ist ganze zehn Jahre jünger als ich, also gerade mal Ende zwanzig, und ich glaube, ich tue ihr nicht unrecht, wenn ich sage, dass sie einer der vielgepriesenen und -beschworenen und herbeigebeteten digital natives ist, im Übrigen auch einer dieser häßlichen Begriffe aus der idiotischen und staubtrockenen Nerdkultur, der zudem auch noch leicht rassistische Anklänge hat, denn bis jetzt wurden ja noch alle natives ausgerottet, versklavt und / oder unterdrückt. Ich bin jedenfalls wohl keiner mehr bzw. noch keiner, ich hab Mühe, mich an ein Telefon mit Drucktasten zu gewöhnen und nicht beim Abnehmen gleich "Vermittlung?" in den Hörer zu rufen. Aber im Grunde ist das auch völlig belanglos, denn ich will ja nicht Neele Hülcker besprechen, sondern ihr Stück. Irgendwie hänge ich dieser altmodischen Vorstellung an, dass ein Stück für sich selbst stehen und nicht von der Biographie seines Autors abhängig sein sollte. Deshalb, dieser Beisatz sei mir dann doch noch erlaubt, ehe es wirklich und tatsächlich losgeht, deshalb also nervt mich zum Beispiel der ganze Helmut - Oehring - Komplex tendenziell etwas, weil ich immer denke: Wie würde ich die Musik finden, wenn ich seine Biographie nicht ständig im Hinterkopf hätte? Also, Schluß jetzt damit, ich hab mich mit Neele Hülckers Biographie nicht beschäftigt, interessiert mich auch nicht. Ich glaube, das ist in ihrem Sinne, auf ihrer Webseite steht ja auch nur, wann sie geboren wurde und wo sie jetzt lebt. Und selbst auf diese Infos hätte ich noch verzichten können, wer lebt denn heutzutage nicht in Berlin? Wahrscheinlich nur noch ich.

"Kramen" also. Cooler Titel, wie immer. Ohne coolen Titel läuft gar nix. Coole Titel haben die "...fragment...wie ich einmal von mir selbst ergriffen war..."-pseudopoetischen Hochromantiktitel des späten 20. Jahrhunderts abgelöst. Ist ja auch richtig so, jede Zeit braucht ihre Titelmoden. Und es wäre keine Mode, wenn nicht jeder mitmachen würde. Mach ich ja auch.

Bei Neele Hülcker wird grundsätzlich viel gekramt, scheint so ihr Topos zu sein. Leute setzen sich an einen Tisch und hantieren mit irgendwelchen sogenannten Alltagsgegenständen herum, ach nee, das heißt ja jetzt: found items, so z.B. auch bei "Mitarbeit", "Live Electronic Music", "Bauvorhaben", "Sidekick" usw. usf. Auch bei "kramen" wird also gekramt. Denke ich zumindest. Und wird es auch. Es ist auch kein Musikstück, sondern eine Installation. Denkt Neele Hülcker zumindest. Ist es aber nicht. Es ist eine astreine Theaterszene, ich denke da in Richtung Ionescu oder auch Beckett, irgendwie absurd halt. Dargeboten von Dilettanten. Eben nicht musikalischen, sondern schauspielernden. Das ist teilweise schwer erträglich. Weil es nicht, wie wohl angedacht, irgendwie merkwürdig oder absurd, sondern einfach nur unbeholfen und hölzern wirkt. Einen Gefallen hat Neele Hülcker dem Stück damit jedenfalls nicht getan. Ich mag gar nicht das ganze Stück auseinandernehmen, vielleicht ein anderes Mal (naja, wohl eher nicht). Für diesmal will ich die Aufmerksamkeit des allerwertesten Lesers nur auf einige ausgesuchte Momente lenken.

Vier Leute (Streichquartett?) sitzen an vier Cafétischen, adrett bestückt mit Kunst(?)blume in Vase, Zuckerstreuer etc. Im Hintergrund läuft irgendein Soundtrack, dessen Aufbau entlang, Zweck für und Verbindung mit der Szene ich nicht kapiert hab. Klingt nach geschredderten Neue-Musik-Fragmenten, irgendwelchen aufgenommenen Alltagsgeräuschen, Entschuldigung: field recordings, und was weiß ich noch. Vielleicht ist auch die Qualität im Video nicht ausreichend, um das alles zu beurteilen. Also lass ich es bei der Feststellung, dass das alles für mich ziemlich beliebig klingt und sofort in mein Unbewußtsein bzw. in den großen Bereich der Nichtaufmerksamkeit hineinverläppert.

Zu Anfang werden erstmal die Gesten vorgestellt (Exposition!), die im Laufe des Stücks vorkommen. Als da wären: Trinken, Umdrehen, Haare aus der Stirn streichen, Stühle rücken (Ionescu!). Alles mit erzbitterem Ernst vorgetragen. Verstehe ich schonmal nicht. Warum dieser Ernst? So hockt ja keiner im Café. Nicht, dass ich einer dieser idiotischen Realismusverfechter wäre, die bei irgendwelchen Fernsehkrimis rumjammern, dass sie die Polizeiarbeit nicht realistisch darstellten. Nein, darum geht's nicht. Es ist vielmehr so, dass sich bei mir sofort der Gedanke festsetzt: Die können gar nix anderes. Wenn man keine schauspielerischen Möglichkeiten hat, dann macht man eben ein ernstes Gesicht und verzieht es möglichst nicht. Derart auf die Limitierungen der Ausführenden aufmerksam gemacht, kann ich nicht anders, als nur noch darauf zu achten, was selbstredend dazu führt, dass ich nur noch Unzulänglichkeiten finde. Beim HaareausderStirnStreichen zum Beispiel (0'22'' z.B. und später in Häufung ab 9'22''): Die Bewegungen sind zu langsam und betont, um als "natürlich" durchzugehen. Und nicht, wie soll ich sagen, mit ausreichend Haltung ausgeführt, dass man uneingeschränkt sagen könnte: "Das ist eine stilisierte Bewegung." Also hängen sie so in einem gestischen Niemandsland herum und wirken letztendlich, wie schon gesagt, unbeholfen. Ähnliches gilt für's Stühlerücken (0'26'' und im weiteren Verlauf z.B. bei 3'39'' oder 9'30''): So rückt man seinen Stuhl nicht zurecht. Man schaut nicht runter, wohin man ihn rückt. Man rückt ihn beinahe nie seitwärts, außer man macht Platz an einem bereits engbesetzten Tisch, was hier aber nicht der Fall ist. Andererseits bietet diese Aktion auch kein Stilisierungspotential. Das Rücken ist nicht irgendwie angemerkwürdigt, so dass man denken könnte: "Aha, seltsam, dieses Rücken, es bekommt jetzt eine poetische Kraft, die ich ihm nie zugetraut hätte." Nein, es wird mit diesem heiligen Ernst, der ja auch keine Haltung, sondern bloß ein Notbehelf ist, gemacht und wirkt irgendwie schlampig, ohne absichtsvoll schlampig zu wirken, was ja auch eine Qualität wäre, sondern ungekonnt schlampig, was garantiert keine Qualität, sondern bloß ärgerlich ist. Auch nicht besser: Wasser aus'm Glas trinken (gleich zu Beginn oder auch später bei 3'25''). Wer zum Teufel fixiert sein Glas mit dem Blick auf diese Weise, bevor er es in die Hand nimmt? Warum wird das Trinken beim ersten Mal so gewollt bedeutungsvoll inszeniert (Bedächtigkeit der Bewegungen)? Noch schlimmer und also am schlimmsten allerdings finde ich die Kopf-auf-Hand-stütz-und-in-die-Ferne-schau-Geste (3'31''). Da kriecht bei mir dann schon so eine leichte Fremdschamanwandlung die Speiseröhre hoch. Laientheater in seiner ganzen Pracht.

Ach, aber da ist ja noch das "Kramen". Bis jetzt hatten die Gesten irgendwie mit dem Thema "Café" zu tun. Das Kramen fällt da raus, jedenfalls ist es nicht unbedingt eine übliche Tätigkeit an einem Cafétisch, den gesamten Inhalt seiner Tasche auf den Tisch zu räumen. Später wird das Zeug noch auf dem Tisch umarrangiert. Zwischendurch wird Papier geknüllt, glattgestrichen, wieder geknüllt, wieder glattgestrichen. Und zu guter Letzt wird alles wieder in die Tasche gepackt (leider bricht das Video mitten im Einräumprozess ab). Es ist interessant zu beobachten, wie falsch man so eine einfache Sache wie etwas aus einer Tasche zu holen und auf den Tisch zu legen machen kann, wenn man es spielt. Denn es wird gespielt. Es ist keine Tätigkeit, die man unbeobachtet und für einen konkreten Zweck in einem tatsächlichen Café macht. Man fühlt sich beobachtet (bei 7'48'' schaut der Möller ja sogar in die Kamera), das Rausräumen hat keinen Zweck, außer, dass es wohl in irgendeiner Form verabredet ist und prompt geht einem der Bewegungsablauf gar nicht mehr so natürlich vom Körper. Es sind Kleinigkeiten wie sekundenbruchteillanges Zögern beim Abstellen von Gegenständen, die man im natürlichen (ich schreib' immer "natürlichen", als hätte der Mensch so eine Art wildes Habitat, aus dem man ihn rausgerissen und in eine absolut künstliche Umgebung hineinverfrachtet hätte, was irgendwie ja auch ungefähr stimmt, mit dem Unterschied, dass man nicht aus der Wildnis, sondern aus einem sozusagen alltäglichen Kulturumfeld in ein nichtalltägliches Kulturumfeld gesetzt wird, womöglich noch aus freiem Willen), jetzt hab ich den Satzanfang vergessen, ach so: Kleinigkeiten wie sekundbruchteillanges Zögern beim Abstellen von Gegenständen, die man im natürlichen (siehe Ausführung in der vorigen Klammer) Umfeld nicht erwarten würde. Da wäre es ja so: Bei dieser Menge an Gegenständen, die ich aus meiner Tasche aus irgendeinem Grund (ich suche etwas?) auf den Tisch befördern wollte, würde ich wohl früher oder später einfach die Tasche auskippen. Niemals würde ich so einen Haufen disparate Gegenstände sorgfältig nebeneinander auf dem Tisch aufbauen, jedenfalls will mir kein Grund dafür einfallen. Und das ist auch der Grund, warum die "Performer" immer wieder ganz kurz, kaum merklich zögern. Es muss ja ein Platz für den nächsten Gegenstand gesucht werden. Na und, wo ist jetzt das Problem? Das Problem ist ganz einfach folgendes: Die ganze Aktion soll irgendwie natürlich (siehe Ausführungen in der Klammer oben) wirken, ist aber gleichzeitig von der Anlage her schon vollkommen unnatürlich (siehe Ausführungen in der obigen Klammer). Diese Differenz kann man natürlich (nicht in Bezug zu den Ausführungen in der obigen Klammer) aufmachen, aber man muss sie bewußt aufmachen. Die "Performer" im Video dagegen versuchen, die Aktion natürlich aussehen zu lassen, was gar nicht geht, weil es gar keine natürliche Aktion ist. Bzw. könnte man immerhin versuchen, es wie eine natürliche Aktion aussehen zu lassen, müßte dafür aber gut schauspielern können.

Jetzt könnte man mir ja vorhalten, dass ich mit all dem gar nichts über das Stück und beinahe alles über die Leistungen der Interpreten gesagt hätte. Könnte man meinen, stimmt aber nicht. Denn das Nichtfunktionieren des Stückes, jedenfalls sehe ich das so, beruht gar nicht so sehr auf den Unzulänglichkeiten der Ausführung, sondern beides hauptsächlich auf einer, nein, sogar mehreren Fehleinschätzungen der Komponistin. Diese betreffen die a) formale Anlage des Stückes, b) die sozusagen Instrumentation des Stückes und c) den Schwierigkeitsgrad der Ausführung. Wie immer im richtigen Leben hängen alle drei Punkte eng verzwirbelt ineinander und eines bedingt das andere. Und damit muss ich natürlich doch das Stück auseinandernehmen.

a) Da ja, wie schon ausgeführt, die "Musik", also das Zuspiel, gar keine Rolle spielt, ist man als Zuschauer ausschließlich auf die Bewegungen der Interpreten verwiesen. Mit anderen Worten: Man interpretiert das Geschehen auf der Bühne als Szene. Das geht nicht anders. Ich weiß nicht, warum Neele Hülcker das Ganze "Installation" nennt, vielleicht, weil es in einem tatsächlichen Café aufgeführt wird, vielleicht, weil es stundenlang im Loop aufgeführt wurde (was ich auch nicht weiß, weil es dazu keine Angaben gibt), vielleicht aber auch einfach nur, weil es cooler klingt als "Szene für 4 Schauspieler". Als Installation allerdings ist es mir nicht statisch genug bzw. auch einfach zu kurz (selbst unter der Voraussetzung, dass es mehrmals hintereinander aufgeführt wurde), während es als Szene zu einförmig und -tönig bzw. zu lang ist. Das ganze Ding, wie auch immer man es jetzt nennen will, hat im Grunde eine ziemlich klassische musikalische Form, mit Exposition, Durchführung und Reprise. Beinahe möchte ich hier als Vorlage die Große Fuge anführen (Themenbruchstücke zu Beginn, fugales "Kramen" in den Themen, einpacken), wenn der Vergleich nicht gar zu viel Gefälle hätte. Denn wirklich "gearbeitet" wird mit den Themen in "kramen" nicht. Sie werden halt immer neu kombiniert, bleiben ansonsten aber weitgehend unverändert. Ein Haarewischen sieht in Minute 9 genauso aus wie in Minute 1. Da tut sich nix. Nach ca. Minute 2 kommt dann gar nichts Neues mehr, wenn man mal vom freeze ab 7'55'' ca. absieht (2/3-Regel!). Das führt dazu, dass zwar eine Entwicklungsform abgefahren wird, die aber ohne wirkliche Entwicklung auskommen muss. Also eiert alles so leicht unmotiviert vor sich hin. Da bringt es auch nichts, dass das Kramen im Verlauf des Stückes hektischer wird. Zumal die Hektik nicht gerade die schauspielerische Leistung befördert. Oder andersrum die schauspielerische Leistung nicht gerade den Eindruck befördert, die Hektik sei irgendwie notwendig oder am Platze.

b) Die Instrumentation des Stückes mit vier "Performern" ist auch so ein kompositorisch nicht gelöstes Problem. Oben meinte ich ja noch Streichquartett, aber es ist dann wohl doch eher so etwas wie ein Stück für vier Geigen. Alle vier bieten ungefähr die gleiche Klangfarbe an. Also: dieselben Gesten, in derselben Intensität, mit demselben Gesichtsausdruck. Keiner muckt mal auf, steht auf (Toilettengang!), kriecht unter den Tisch, schreit rum oder macht sonstetwas, das man eine abweichende Klangfarbe nennen könnte. Das ist zu einem Teil natürlich auch den formalen Problemen geschuldet, es gibt keinen wirklichen Kontrapunkt oder irgendein "zweites Thema". Das Kramen ist jedenfalls keines, dafür ist seine Andersartigkeit doch etwas zu, sagen wir mal, subtil. Damit gibt es auch keine Notwendigkeit, ein anderes Motiv mit einer anderen Klangfarbe herauszuinstrumentieren. Dann hätte man ja aber wenigstens die immergleichen Elemente uminstrumentieren können. Dazu aber hätte man fähigere Interpreten einplanen müssen. Da beißt die Katze keinen Schwanz ab.

c) Das Stück bietet einen zu hohen Schwierigkeitsgrad für Laienschauspieler. Mit Requisiten  hantieren, ins Leere schauen, genau abgezirkelte Bewegungen immer wieder ausführen und alle diese Dinge, das ist schwierig. Das sieht ja oft genug auf der Theaterbühne schon doof aus, nach sechs Wochen Proben, mit Leuten, die das alles jahrelang studiert haben. Woher die Gewissheit oder Idee kommt, dass das mit Nichtschauspielern irgendwie einfacher oder besser oder irgendwie 21.-Jahrhundert-mäßiger sein soll, weiß ich nicht. Und wenn ich hier darauf beharre, dass Schauspieler vielleicht die bessere Lösung gewesen wären, so geschieht dies immer mit dem unausgesprochenen Attribut "gute". So wie man für die Aufführung irgendeines stinknormalen Musikstückes ja auch viel lieber "gute" Instrumentalisten hat als mittelmäßige oder gar unfähige. "kramen" bietet keinerlei Anhaltspunkte für die implizit aufgestellte Behauptung, es müsse unbedingt von ungeübten Laiendarstellern aufgeführt werden.

Alles in allem läuft es darauf hinaus, dass das eigene Konzept nicht konsequent durch- und zuendegedacht wurde. Wenn man eine Szene in einer musikalischen Form organisieren will, warum sind dann grundlegende musikalische Techniken wie Transposition, Augmentation / Diminution, Klangfarbenänderung, Modulation etc. nicht berücksichtigt? Das wäre doch mal ein interessantes Konzept gewesen, gestische bzw. szenische Lösungen für diese Dinge zu finden. Aber klar, mit Instrumentalisten, die Schauspieler darstellen, die irgendwas darstellen, kann man keine großen Sprünge machen. Mein tieferliegender Verdacht ist aber, wie auch bei vielen anderen Stücken, dass es gar kein kompositorisches Problem zu lösen gab und nur eine Idee durchgehauen wurde. Das ist mir dann aber für "Kunst""musik" im allerweitesten Sinne doch irgendwie zu wenig. Am schlimmsten aber fand ich, dass das Ganze noch nicht mal lustig war.

2 Ole Hübner: "fuck bass fuck bass" für Ensemble mit Solo-Sopranblockflöte, live-Elektronik, Audio- und Videozuspiel und Stroboskop

Wunderbar, diese Zwischenüberschriften. Ich merke allerdings gerade, dass der Text doch arg lang wird, deshalb gibt's dieses Stück und den mit Dressing vermengten Gesamtsalat in Form einer allgemeineren Abschlusserklärung nächste Woche in einem zweiten Teil.

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