Samstag, 21. Dezember 2013

Kommentar 23 - ABC . . . Die Katze liegt im Schnee / John Baldessari vs. Erik Carlson


Von John Baldessari gibt es die wunderbare Photoserie "trying to photograph a ball, so that it is in the center of the picture". Der Titel sagt schon alles. John Baldessari wirft einen roten Ball in die Luft und versucht ihn so zu photographieren, dass er genau in der Mitte des Bildes ist. Das klappt mal mehr, mal weniger gut, und abgesehen von den wechselnden Wolkenformationen im Hintergrund taucht hier und da auch mal ein Baum am Bildrand auf. Eine einfache Grundanordnung also, seriell abgewickelt, ohne Variation. Und doch ist das Ergebnis ziemlich poetisch. Die Handlungsanweisung befreit Baldessari zwar von den üblichen Kompositionsprinzipien ("Halt mal den Kopf leicht zur Seite geneigt und schau von unten zu mir hoch, und dann lächeln!"), stellt aber gleichzeitig neue, nicht weniger rigide Prinzipien auf. Denn es ist von vorneherein klar, dass die Aufgabe an sich unerfüllbar und das Scheitern an ihr zwangsläufig ist (der Ball wird niemals hundertprozentig genau im Bildzentrum sein). Im Grunde also ein hochromantisches Unterfangen: Die Darstellung der Kluft zwischen Ideali- und Realität mit den Mitteln der Ironie.
Schauen wir mal, wie so ein Konzept heute aussieht. Erik Carlson hat beschlossen, dass es eine gute Idee wäre, die Winterreise von Schubert in alphabetischer Reihenfolge aufzuschreiben. Das sieht dann so aus. Jedes Wort wird mitsamt seinen Verton-Tönen in alphabetischer Reihenfolge hingeschrieben. Das war's auch schon. Der ontologische Status dieses "Werks" ist einigermassen unklar. Zur Aufführung wird es nicht kommen, bzw. ist es gar nicht gedacht. Als rein optische Partitur sieht man sich die ersten paar Seiten an und weiß dann Bescheid ("sortiere sämtliche Worte der Winterreise alphabetisch"), wüßte aber eigentlich auch ohne die Partitur Bescheid, weil die Partitur ja bloß abbildet, was gemacht wurde ("sortiere sämtliche Worte der Winterreise alphabetisch"). Als bloße Handlungsanweisung ("sortiere sämtliche Worte der Winterreise alphabetisch") erinnert es irgendwie stark an einen Verwaltungsakt. Als Vorführobjekt für einen Algorithmus ("sortiere sämtliche Worte der Winterreise alphabetisch") ist es ein wenig unspektakulär. Was also soll das Ganze? Wo ist der Mehrwert? Na klar, die Konzeptualisten kommen mir wieder gleich mit ihrem "das soll ja gar keine Kunst sein, und überhaupt muss man sich ein Stück Konzeptkunst gar nicht komplett ansehen / anhören / durchlesen" usw. Na gut, meinetwegen. Wenn es keine Kunst sein soll, ist es eine Wüste merkwürdig angeordneter schwarzer Pixel und von überhaupt keinem weiteren Interesse. Wenn ich es mir nicht komplett ansehen soll, dann brauche ich auch die Partitur gar nicht. Dann aber müßte wenigstens das Konzept ("sortiere sämtliche Worte der Winterreise alphabetisch") irgendwie über sich selbst hinausweisen und nicht einfach mit seiner Beschreibung in Eins fallen. Siehe John Baldessari. Die Handlungsanweisung ist vollkommen klar und prosaisch. Das Werk erschöpft sich aber nicht in dieser Handlungsanweisung, sondern die Handlungsanweisung öffnet erst den Raum der Möglichkeiten, innerhalb dessen dann Kunst geschieht. Man muss nicht alle Photos gesehen haben, man versteht gleich, was das Ganze soll. Trotzdem schadet es nicht, wenn man das eine oder andere Photo zusätzlich betrachtet, weil immer und auf jedem Bild die Differenz zwischen Anweisung und Ausführung neu bestimmt wird. Bei Carlson wird gar nichts bestimmt und schon gar nicht neu. Die einzige Verwendungsmöglichkeit, die ich mir vorstellen könnte, ist die, dass ein Musikwissenschaftler, der noch kein Thema für seine Abschlussarbeit hat, die Anzahl der verwendeten gleichen Worte zählt und nachsieht, ob gleiche Worte jedesmal auch eine gleiche oder ähnliche musikalische Struktur hervorbringen (wobei Carlson ihm die Hauptarbeit der Sortierung ja schon abgenommen hätte (andererseits würde ich einem Musikwissenschaftler, der sich mit einer dermassen öden und sinnlosen Aufgabe beschäftigt, erst gar keinen Abschluss geben)). Im Grunde ist die "Alphabetized Winterreise" also ein einziges Missverständnis, wie so viele andere Konzepte des Neuen oder neuen oder Neo-Konzeptualismus. Wenn die Idee das Werk ist, dann kann sich das Werk keine schlechte Idee leisten. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb.

7 Kommentare:

  1. "...Gott Gott Gott Gott Götter Götter grab Grab Grab Grab Grab..."

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    1. Vielen Dank für diesen wirklich informativen Beitrag. Diese Stelle ist mir entgangen, weil ich nicht bis Seite 13 runtergescrollt habe. Das ändert natürlich alles.

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  2. PS supernervig die profilauswahl, geht das nicht einfacher..?

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    1. Auch hier wieder ganz herzlichen Dank für die konstruktive Kritik. Ich werde ganz schnell eine IT-Ausbildung machen, mich von Google anwerben lassen und den ganzen Kram von Grund auf neu programmieren. Ich ärgere mich nur, dass ich nicht von selbst auf diese Idee gekommen bin. Manchmal braucht man eben einen Tritt in den Hintern, um in die Gänge zu kommen.

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    2. kommentare, bei denen man einfach emailadresse angibt, reicht heute wohl nicht mehr, man muss irgendwo ein "profil" haben. nagut, wenn sie unbedingt kommentatoren abschrecken wollen.

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  3. So, jetzt hab ich's in den Einstellungen geändert. Möge die Kommentarflut kommen ...

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  4. Was bin ich doch konstruktiv! Gratulation zur IT-Ausbildung.

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